Geschmacklos? Wenn Essen zum Lachen ist

Gibt es das: kulinarische Witze? Kann Essen Belustigung auslösen? Soll es das überhaupt? Wir erinnern uns: Mit Essen spielt man nicht. Haben wir vermutlich alle seit Kindheitstagen verinnerlicht. Darf man denn wenigstens drüber lachen?

Practical Jokes

Im Mittelalter und in der Renaissance hätten sie wohl geschrieen: Ja! Ja! Ja! Zumindest die, die überhaupt was zu lachen hatten. Der fürstliche Mundkoch Frantz de Rontzier empfiehlt in seinem 1598 erschienenen „Kunstbuch von mancherley Essen“, lebende Aale in Spanferkel zu füllen. Wenn der Braten dann tranchiert wird, glitschen die Aale heraus und über den Tisch: „und solches ist eine schöne Lust fürs Frauenzimmer.“* Ha ha. Klingt pubertär, war aber schwer en vogue. Auch aus Pasteten hüpften in dieser Zeit gerne lebende Tiere oder kostümierte Hofnarren hervor.

Was wäre das heutige Äquivalent zu solchen practical jokes (ein Begriff, der sich mit „Streich“ nur mittelmäßig passend übersetzen lässt)? Vielleicht der senfgefüllte Berliner (Krapfen, Pfannkuchen), der alljährlich als ziemlich untoter Scherz zu Karneval (Fasching, Fastnacht) und Silvester sein Unwesen treibt. Damals wie heute ist in solchen Fällen der Witz wichtiger als das Essen. Oder hat schon mal jemand den Senfberliner wirklich aufgegessen? Bei dem Spanferkel bin ich mir nicht sicher, aber die Pastetenhüllen, in denen sich beispielsweise Tauben vor ihrem großen Auftritt noch mal kurz erleichterten, hat wohl niemand danach ernsthaft auf dem Teller gehabt. Und deshalb kommt da die Puritanerin in mir zum Vorschein: Kann ich nicht drüber lachen.

Kulinarische Verkleidungen

Ein bisschen anders gelagert ist der Humorfall, wenn ein Lebensmittel oder Gericht vorgibt, ganz was anderes zu sein. In der simpelsten Form erhebt ein Name ein ganz einfaches Gericht ironisch zur luxuriösen Speise: Der Falsche Hase ist in Wahrheit ein Hackbraten, der Welsh Rabbit (nein, nicht Rarebit) ein Käsetoast, die ostpreußische Schusterpastete ein Resteauflauf. Das alles sind sozusagen Witze für Arme. Wer nichts hat, hat wenigstens Humor.

Und dann gibt es Gerichte, die auch äußerlich als etwas ganz anderes daherkommen. Lustigerweise fällt mir dazu fast ausschließlich Süßes ein: die Klassiker Spiegeleierkuchen oder Spaghettieis beispielsweise. Und die Süßwarenindustrie widmet sich diesem Bereich natürlich mit unvergleichlichem Enthusiasmus: Angefangen hat sie mal mit Schokoladenzigaretten. Inzwischen sind wir bei Augäpfeln aus Gummizeug gelandet. (Ob da das Produktdesign wohl Spaß macht? Vielleicht ist es aber auch harte Arbeit, sich an die Spaßbegriffe der Zielgruppe ranzurobben.)

Chic oder Chichi?

Also alles Kinderkram? Könnte man meinen. Und dann kommen zwei Avantgardeköche vorbei und fabrizieren aus einem Schweinefleischsandwich eine Zigarre, die sie komplett mit Asche im Aschenbecher servieren. Den gesamten TED Talk von Homaro Cantu und Ben Roche gibt es hier (die Sache mit der Zigarre kommt um Minute 11:26 herum). Wer sich nicht den ganzen Film ansehen möchte, findet hier eine Zusammenfassung. Mit Bildern.

Homaro Cantu und Ben Roche verlassen mit ihren Kreationen allerdings irgendwann das reine Witz-Terrain – sagen sie zumindest. Ihren „Thunfisch“ aus Wassermelone verstehen sie als Vorschlag zur Schonung der Thunfischbestände (aber das soll mal an anderer Stelle Thema sein).

Junges Gemüse im Noma, mitsamt "Erde" zu essen. Bild mit freundlicher Genehmigung von katharina seiser/esskultur.at

Junges Gemüse im Noma, mitsamt „Erde“ zu essen. Bild mit freundlicher Genehmigung von katharina seiser/esskultur.at

Aber auch das Noma in Kopenhagen, mehrmals vom Restaurant Magazine zum besten Restaurant der Welt gekürt, serviert (oder servierte) Möhrchen und Radieschen in einem Blumentopf inklusive essbarer „Erde“, wie Katharina Seiser in ihrem langen Bericht von einem Noma-Besuch zeigt.

Humor ist … äh, individuell

Ich bin hin- und hergerissen. Ist das nun witzig, oder fällt es unter die Kategorie „unnötige Spielereien mit Essen“? Ich bin geneigt, dem Gemüse im Blumentopf einen echten kulinarischen Mehrwert zuzugestehen – jedes Element hat seine Funktion am Gaumen, und doch, dann kann ich die Präsentation auch auf eine gute Art und Weise witzig finden. Aber die Zigarre? Ist ein Sandwich in anderer Form. Muss man dann eine Zigarre draus machen, nur weil es möglich ist? Ich weiß nicht.

Spiegeleierkuchen und Spaghettieis haben den Vorteil, dass ich ihnen mit einer gewissen nostalgischen Verklärung begegne. Und ganz ehrlich: Vermutlich sind die Kombinationen Teig/Pudding/Dosenfrüchte bzw. Vanilleeis/Erdbeersauce/Weiße Schokoraspel auch nur deshalb gut, weil sie nicht aussehen wie das, was sie sind. Das wäre nämlich ziemlich langweilig.

Weißwursteis gefällig?

Das kann man von den Eiskreationen des verrückten Eismachers in München nun wiederum nicht behaupten. Der bietet seinen Kunden nämlich auch schon mal Weißwursteis oder „Schwangerschaftseis“ (Saure-Gurke-Nutella). Bestimmt wird in der Eisdiele viel gelacht, bestimmt wird dort das übliche Eiscremerepertoire erweitert (was eine gute Sache ist, und das Biereis soll ja auch toll schmecken). Aber es würde mich sehr wundern, wenn dort nicht regelmäßig größere Portionen der experimentelleren Geschmacksrichtungen im Müll landeten, weil Saure-Gurke-Nutella eben doch nicht so viele Liebhaber findet. Und da hört irgendwie der Witz auf, finde ich.

Knallbrause im Sorbet – das allerdings fand ich wirklich witzig, als ich es letztes Jahr im Le Canard Nouveau nach etlichen vollkommen ernsthaften Gängen bekommen habe. In dem Augenblick wirkte das nicht nur wie ein Hallo-Wach für den Gaumen, sondern auch wie eine Erinnerung an die Kindheit; ein kleines respektloses Element mitten zwischen den weißen Tischdecken, beeindruckenden Weinkarten und wichtigen Geschäftsessenden. Mir hat’s gefallen. Für mich war das humorvoll – andere fänden es womöglich zahm.

Bleibt festzuhalten: Über Humor lässt sich genauso viel oder wenig streiten wie über Geschmack. Und ja, mit Essen darf man spielen. Hauptsache, es bleibt essbar. Und man verschluckt sich nicht beim Lachen.

 

*zitiert nach: Hans Wiswe, Kulturgeschichte der Kochkunst. Kochbücher und Rezepte aus zwei Jahrtausenden mit einem lexikalischen Anhang zur Fachsprache von Eva Hepp (München: Heinz Moos Verlag, 1970), S. 97.

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6 Gedanken zu “Geschmacklos? Wenn Essen zum Lachen ist

  1. Eva

    Ein so komlexes Thema, dass ich mich gerade erschlagen fühle und noch gar keine Meinug äußern kann. Aber ich habe deinen Bereicht mit großem Interesse gelesen!

  2. Sabine Schlimm Artikel Autor

    Hallo Eva, ja, ein bisschen geht es mir auch so. Mir begegnen auch ständig neue Aspekte, die man diesem Thema eigentlich noch hinzufügen müsste. Ich denke also weiter daran herum!

  3. Sabine Schlimm Artikel Autor

    Danke für den Link, Sünje! Bei solchen Sachen frage ich mich ja immer: Soll das in erster Linie zum Essen anregen? Oder zum Spielen (und die Eltern sollen’s dann nachher essen)? Bento-Box-Fans kommen da ja auch auf lustige Ideen.

  4. Chawwa

    Interessant – diese Versuche, Kindern das Essen „spielerisch“ nahezubringen. Scheint mir mehr ein Problem zu lösen, das in Familien mit mehreren Kindern kaum auftritt (Futterneid?). Ich stamme noch aus der Generation, die wegen frühkindlicher Hungererfahrungen (vielleicht zu) ernsthaft mit Essen und Lebensmitteln umging. Aber natürlich habe ich mit meinen Kindern auch Kirschkernwettspucken gemacht – und bei einem heftigen Sommergewitter auf der überdachten Terrasse vorher mutig gepflückte Erbsenschoten gepalt und – ganz außerhalb von regulärer Mahlzeit – gegessen. Das ist für mich spielerischer Umgang mit Lebensmitteln: Gemüse oder Obst oder Nüsse geschmacklich kennenlernen, außerhalb des Essensrituals. Sahnetortenschlachten in Filmen oder das eine Zeitlang so beliebte Mohrenkopfwerfen fand ich immer ganz furchtbar und keineswegs lustig. Und finden Kinder wirklich diese industriell gefertigte „Kinderwurst“ mit Gesicht witzig?????

  5. Pingback: Mit Essen spielen | Schmeckt nach mehr

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