Was essen wir eigentlich? Ausstellung „Is(s) was?!“ in Leipzig

Ausstellungsplakat "Is(s) was?!"Knapp drei Stunden haben wir gebraucht. Knapp drei Stunden für fast siebzig Jahre kulinarischer Geschichte in Deutschland Ost und Deutschland West und Deutschland einig Essensland ‒ das ist nicht viel. Und trotzdem war es erst einmal mehr als genug. Nachdem wir aus der Ausstellung „Is(s) was?! Essen und Trinken in Deutschland“ im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig auf die Straße traten, brauchten wir erst einmal einen Kaffee und die Gelegenheit, über das Gesehene zu reden.

„Essen und Trinken in Deutschland“ bleibt, selbst wenn man es auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg beschränkt, ein riesiges Thema. Denn was wir essen, berührt jede Menge gesellschaftlicher Fragen:

  • Wer kocht ‒ Männer, Frauen, beide?
  • Wo wird gegessen? Im privaten Rahmen, in der Kantine, am Imbiss, im feinen Restaurant?
  • Welcher Wert wird kulinarischen Einflüssen aus aller Welt beigemessen ‒ und welcher heimischen Gerichten und Esstraditionen?
  • Was für Lebensmittel werden gekauft, und was wird dafür ausgegeben?
  • Wie werden die Lebensmittel produziert und warum?
  • Welche religiösen, moralischen, ethischen Vorstellungen prägen unser Essverhalten?

Und so weiter, und so fort. Auf alle diese Fragen gibt es natürlich haufenweise Antworten: je nach Zeit, nach Ort, nach gesellschaftlicher Gruppierung. Dass eine Ausstellung da nur Schlaglichter werfen kann, liegt auf der Hand. Das ist den Machern dieser Ausstellung in Leipzig gelungen; auch wenn man an manchen Stellen ahnen konnte, welche Mühe es kostete, die Fülle an Material zu bändigen: sich zu beschränken und über den vielen Einzelaspekten die übergeordneten Fragen deutlich genug zutage treten zu lassen.

Im Nachhinein mag das sogar ein Glück gewesen sein. Wäre die Ausstellung noch stringenter ein paar wenigen roten Fäden gefolgt, wer weiß, ob ich so viel daraus mitgenommen hätte. So aber gab es selbst für Leute, die sich ohnehin intensiv mit dem Thema Essen und Trinken auseinandersetzen, reichlich Neues zu entdecken. Berührt, beeindruckt, amüsiert haben mich zum Beispiel

  • das Kochbuch, das ein deutscher Soldat in französischer Kriegsgefangenschaft auf Klopapier schrieb: lauter unerreichbare Traum- und Sehnsuchtsgerichte (in der Vitrine aufgeschlagen auf der Seite mit den Cremespeisen);
  • der „Goethe-Döner“-Imbissstand in der Nähe des Goethe-Instituts in Seoul, wo Döner als typisch deutsches Essen gilt;
  • der Ausflug in die Anfänge der lebensreformerischen Vegetarierbewegung mit einem Aufnahmebogen der Obstbaukolonie Eden: „Seit wann leben Sie vegetarisch?“;
  • die Fotos mittelmäßig ratloser Esser, die sich in den 70ern und 80ern mitten in der DDR mit Sushi konfrontiert sahen (im japanischen Restaurant „Waffenschmied“ in Suhl nämlich);
  • die Auflistung von Lebensmittelskandalen seit den 70ern: so viele, dass man die meisten entweder nie mitbekommen oder schon längst wieder vergessen hat;
  • das bei Vollmond gebackene Brot mit Goldstaub auf der einen und das als billiger Brennstoff benutzte Altbrot auf der anderen Seite.
Vollmondbrot

Das mit Goldstaub verzierte Vollmondbrot wird nur in Vollmondnächten gebacken.
© Stiftung Haus der Geschichte/Zeitgeschichtliches Forum Leipzig

Fazit: Die Ausstellung lohnt sich! Sie reißt viele wichtige gesellschaftliche Themen rund ums Essen und Trinken an und macht sie mit teils prägnanten Ausstellungsstücken greifbar. Jede Menge Stoff zum Darübersprechen ‒ denn wenn’s ums Essen geht, hat wohl jeder eigene Erfahrungen beizutragen.

Brotpellets (Klein)

30 Prozent Altbrot enthält das Pellet-Gemisch, mit dem ein Bäcker seinen Backofen heizt. Die Idee, durch Abfallnutzung Energie zu sparen, entzündet eine Debatte über den Wert von Lebensmitteln.
© Punctum/Bertram Kober

Zwei kleine Wermutstropfen gab es für mich:

Zum einen war das im Pressetext zur Ausstellung groß angekündigte historische Kochbuch von 1350 schon längst nicht mehr zu sehen ‒ aus konservatorischen Gründen, wie ich erfuhr. Verständlich, aber schade.

Zum zweiten nervt mich persönlich, dass in Ausstellungen zunehmend mit Ton in Raumbeschallungslautstärke gearbeitet wird. Else Tetzlaffs genäseltes „Aber Alfred ‒ was machst du denn da?“ (aus einem Videoloop aus der Fernsehserie „Ein Herz und eine Seele„, bei dem Ekel Alfred Rotkohl kocht) werde ich so schnell nicht aus dem Ohr bekommen, weil es mir durch mehrere Ausstellungsräume folgte, wo es sich mit allerlei anderen Musik- und sonstigen Soundfetzen mischte. Das ist mir unverständlich; schließlich gab es an anderen Stellen die Hörbeispiele auch per Kopfhörer.

Dennoch: Große Empfehlung! Die Ausstellung läuft noch bis zum 2. Februar 2014.

Ausstellung „Is(s) was?! Essen und Trinken in Deutschland“
Zeitgeschichtliches Forum Leipzig
Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Eintritt frei

5 Gedanken zu “Was essen wir eigentlich? Ausstellung „Is(s) was?!“ in Leipzig

  1. IWe

    Multimedial und fuer alle Sinne ist das Motto der Ausstellungsmacher. Von daher wird es immer schwieriger sich der Beschallung und den Dauertoenen zu entziehen. Danke fuer den Hinweis.

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Ja, das Prinzip „für alle Sinne“ kann ich durchaus nachvollziehen. Aber das mit dem Hörsinn könnte man ja durchaus über Kopfhörer lösen. Na ja – vielleicht gibt es Leute, denen die Beschallung gefällt. Für mich dürfte es halt immer noch mehr größere Textmengen zu lesen geben. ;-)

  2. Eva

    Ich werde mit dem Alter immer Lärmempfindlicher. ;-) Also wäre die Messe nix für mich…
    Und ich hätte noch einen Lesetipp zum Thema der Messe: „Der Bio-Bluff“ von Hans-Ulrich Grimm. Die Lektüre empfiehlt sich allerdings nur an Tagen, an denen die Laune sowieso schon im Keller ist. Vieles war mir zwar schon bekannt, aber vieles auch noch nicht nd ich weiß nicht, ob ich es überhaupt wissen wollte. ;-)

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Danke für den Tipp, Eva! Tatsächlich habe ich das Buch dieses Jahr gerade gelesen (obwohl es ja schon älter ist). Ich fand es eher so … hmja. Einfach sehr polemisch; extrem auf Sensation hingeschrieben – und das Fazit war ja im Grunde auch nur einfach: Es gibt Bio und Bio und man muss genau hinsehen. Aber vermutlich muss man sich von Zeit zu Zeit solche „Aufkärungsliteratur“ geben.
      Die Ausstellung war jedenfalls deutlich vergnüglicher!

      1. Eva

        Ich bin noch nicht ganz durch… und ja, wahrscheinlich muss ich sowas von Zeit zu Zeit lesen, obwohl es mir wirklich auf’s Gemüt schlägt. Und letztlich ja auch nichts ändert.
        Falls ich bis Anfang Februar noch nach Leipzig komme, werde ich mir die Ausstellung auf jeden Fall ansehen!

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