Rezension: Stevan Paul, Schlaraffenland

Diese Woche ist Buchwoche! Genau gesagt: „Jeden Tag ein Buch“-Woche, bei der bereits zum dritten Mal auf vielen, vielen Blogs Genussbücher im weitesten Sinne vorgestellt werden.

Jeden Tag ein Buch. Logodesign Ariane Bille

Ich bin auch mit dabei und nutze die Aktion gleich mal, um zu verschleiern, dass ich euch schon vor Monaten eine Rezension versprochen, aber bisher vorenthalten habe. Natürlich nur, weil ich damit auf die Buchwoche gewartet habe! (Ähem.)

Manchen von euch dürfte Stevan Pauls Kurzgeschichtenband Schlaraffenland* längst untergekommen sein; schließlich ist das Buch bereits vor zwei Jahren erschienen. Aber erstens weiß man ja nie; zweitens nervt mich häufig, dass Bücher für die meisten Medien nur so lange interessant sind, wie sie den Status von Neuerscheinungen genießen; und drittens habe ich schließlich meinen persönlichen Senf zu dem Buch noch nicht abgegeben. Ich bin nach Erscheinen erst einmal ein paar Monate darum herumgeschlichen, auch wenn klar war, dass ich nicht dauerhaft an einem Buch vorbeikommen würde, dessen Untertitel lautet: „Ein Buch über die tröstliche Wirkung von warmem Milchreis, die Kunst, ein Linsengericht zu kochen, und die Unwägbarkeiten der Liebe“.

Buchcover Schlaraffenland

Dann habe ich Stevan Paul gelauscht, wie er bei einer Lesung die Geschichte der nächtlichen Abenteuer von Herrn Wilhelm zum Besten gab („Mit Herrn Wilhelm durch die Nacht“), und am nächsten Tag bin ich in die Buchhandlung gegangen und habe mir Schlaraffenland gekauft. Seitdem frage ich mich, warum ich so lange gezögert habe. Vielleicht, weil ich insgeheim dachte, dass ein Kurzgeschichtenband mit passenden Rezepten nicht wirklich Fisch und nicht Fleisch ist; weder ernst zu nehmende Lektüre noch Kochbuch, sondern etwas Halbgares dazwischen (um jetzt mal die Kochmetaphern lustig zu mixen).

Um es ganz deutlich zu sagen: Das. War. Falsch. Autor Stevan Paul – und das hätte ich eigentlich als Leserin seines Blogs Nutriculinary wissen müssen – kann schreiben. Und zwar so, dass es mich fesselt, dass ich in den Geschichten versinke, dass ich ihren besonderen Klang noch lange danach im Ohr habe, dass mir bestimmte Bilder deutlich vor Augen stehen. Bilder wie dieses hier:

Am Strand spielt ein Rasta mit seinem Hund. Der Hund beißt die geworfene Frisbeescheibe zackig aus dem Himmel, der Himmel ist so blau, man könnte diesen Himmel nicht malen, man kann diesen Himmel nicht fotografieren. Ein einzigartig blauer Himmel, zum Selbstmerken.
(aus „Wellenreiter“)

Die Geschichten in Schlaraffenland würde ich auch gerne lesen, wenn keine Rezepte dabei wären (obwohl das eine getestete Gericht, die Linsen nämlich, hervorragend schmeckte). Und ich würde sie auch gerne lesen, wenn sie sich nicht ums Essen drehten – aber ich bin trotzdem froh, dass sie das tun. Denn sonst wäre ich möglicherweise nie auf das Buch gestoßen, weil ich eigentlich selten zu Kurzgeschichten greife. Außerdem finde ich, dass sich rund ums Essen viele großartige Geschichten erzählen lassen, und genau das tut Stevan Paul.

Das Tolle daran ist: Er erzählt nicht übers Essen, sondern von Menschen. Von ganz unterschiedlichen Menschen: dem verbiesterten Oberkellner, der findet, dass Restaurantgäste stören. Dem Foodblogger, der sich im Foodbloggerwettstreit ums publikumswirksamste Konsumwohlverhalten zu drastischen Maßnahmen getrieben fühlt. Dem Babysitter, der die Nacht des Grauens im Haus alter Freunde durchlebt. Und dem Witwer, der im Tiefkühler noch eine Portion der guten Erbsensuppe seiner Frau findet.

Stevan Paul lässt mich in diese ganz unterschiedlichen Leben eintauchen. Manche der Figuren kommen mir dabei näher als andere, aber in ihren Gefühls- und Gedankenwelten halte ich mich sehr gerne eine Zeit lang auf. Der Ton des Autors ist in allen Geschichten wiederzuerkennen; trotzdem spielt Stevan Paul mehr als eine Melodie auf der Stimmungsklaviatur. Dass er die ironischen Zwischentöne beherrscht, traut man ihm dabei ohne Weiteres zu – noch mehr beeindruckt hat mich, wie überzeugend er sich in den Molltonarten bewegt, ohne ins Kitschige abzugleiten. Davor habe ich großen Respekt. Schließlich könnte eine Geschichte über „die tröstliche Wirkung von warmem Milchreis“, die der Untertitel des Buches verspricht, durchaus Essensklischee-Alarm auslösen. Hier hat sie mich aber wirklich und wahrhaftig angerührt.

Daher: Geht hin, kauft und lasst euch ebenfalls anrühren!

Rezeptdoppelseite in Stevan Paul, Schlaraffenland

Noch ein kurzes Wort zu den äußeren Werten: Der mairisch Verlag hat sich nicht lumpen lassen. Fester Einband, Lesebändchen, cremefarbenes und angenehm griffiges Papier – alles rundum geschenktauglich. Die Covergestaltung ist nicht ganz mein persönlicher Geschmack; mir etwas zu kühl mit dem vielen Grau, auch wenn ich die Reminiszenz an Resopaltischplatten oder -schneidbrettchen nett finde. Aber die Typografie gefällt mir dafür umso besser! Durch kluge Auswahl der Schriften machen auch die Weiß auf Dunkelblau gehaltenen Rezeptseiten nicht nur optisch etwas her, sondern funktionieren auch in der Küche. Wer übrigens Fotos zu den Rezepten dringend braucht, findet sie auf der Verlagswebsite.

Und wer jetzt Stevan Paul selbst lesen hören möchte, der kann hier der Geschichte „Nachtschichten“ lauschen:

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Stevan Paul
Schlaraffenland. Ein Buch über die tröstliche Wirkung von warmem Milchreis, die Kunst, ein Linsengericht zu kochen, und die Unwägbarkeiten der Liebe
mairisch Verlag 2012
192 Seiten
Preis: 18,90 Euro

 

2 Gedanken zu “Rezension: Stevan Paul, Schlaraffenland

  1. Barbara

    Das isse ja, die Rezi! Und endlich weiß ich auch, welches Gericht du gekocht hast. Die Linsen stehen bei mir auch immer noch auf der Nachkochliste. Und Stevan IST ein großartiger Erzähler…

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Jaha, was lange währt … Beim erneuten Durchblättern bin ich dann auch wieder auf die anderen Rezepte gestoßen, die ich unbedingt probieren wollte. Zum Beispiel „Biff à la Lindström“. ;-)

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