Raus aus der grauen Blase: Kochen gegen die Trauer
Dass Menschen beim Essen Trost suchen, ist nichts Neues. Ob sie ihn auch finden? Vielleicht kurz. Langfristig bleibt von der Trostwirkung von Schokolade, Milchreis und Ähnlichem oft genug nichts als – Kummerspeck. Zusätzlich zum Kummer. Auf welche Weise dagegen Kochen gegen Trauer helfen kann, dieser Frage ist Sheila Dillon in einer Radiosendung von BBC 4 nachgegangen. Der (englischsprachige) Podcast dazu findet sich hier. (Vielen Dank an Birgit für den Tipp!)
Recherchiert hat Dillon unter anderem in einem Hospiz, das Kochkurse für die Angehörigen dort verstorbener Menschen anbietet. Und die werden nicht etwa nur von denjenigen wahrgenommen, die nach dem Tod ihres kochenden Partners zum ersten Mal hilflos vor einer Packung Tütensuppe stehen: Hier tauchen auch küchenroutinierte Menschen kochend in Erinnerungen ein, die sie mit den Verstorbenen verbinden.
In der Sendung wird außerdem Matt McAllester interviewt, der über seine Trauerbewältigung am Herd sogar ein Buch* geschrieben hat. Der Tod seiner Mutter, die Jahrzehnte lang schwer depressiv gewesen war, traf ihn entgegen seinen eigenen Erwartungen so tief, dass er eine Wiederannäherung an die Person unternahm, die sie vor ihrer Krankheit gewesen war. Er befolgte also den nicht sehr freundlichen Rat, mit dem ihm seine Mutter ewig in den Ohren gelegen hatte: „Lern endlich kochen! Lies Elizabeth David!“ (Die folgende Küchen-Odyssee erinnert ein wenig an Julie Powells Versuch, sich mit den Rezepten von Julia Child aus einer persönlichen Krise herauszukochen – was später Stoff für einen Spielfilm* geben sollte.)
Und wie hilft Kochen nun gegen die Trauer? Drei Punkte werden in der Sendung deutlich:
1. Essen weckt Erinnerungen.
Der Duft, der immer aus Omas Küche zog; der Geschmack eines bestimmten Kindheits-Lieblingsgerichts, das Mutter oder Vater gekocht hat – das bringt Vergangenes wieder zurück, und zwar unmittelbarer, als es ein Foto oder eine Erzählung kann. (Das zeigt sich auch in den Kommentaren zu diesem Blogartikel neulich.) Kein Wunder, dass Proust aus dem Wieder-Schmecken einer einzigen in Lindenblütentee getauchten Madeleine einen ganzen Mammutroman* spann! Solche Erinnerungen stehen oft ganz zufällig und unvermittelt wieder vor uns. Man kann sie aber auch gezielt herbeiführen, wenn man die Gerichte kocht, die mit der Person verbunden sind, um die man trauert. Dann wird Erinnern zum allmählichen Abschiednehmen.
2. Das Tun – also das Kochen – weckt aus der Erstarrung.
Im Podcast war mehrmals die Rede von einer „grauen Blase“, in der sich Trauernde nach einem großen Verlust wiederfinden: von anderen Menschen abgetrennt durch eine Trauer, für die es keine Worte gibt; ohne Interesse an irgendetwas, ohne den Willen, etwas zu tun. Zudem geht vielen in dieser Phase der Appetit verloren, sodass sie nur noch schlecht für sich sorgen. Dann kann es helfen, gemeinsam mit anderen zu kochen (wie bei dem Hospiz-Kochkurs) – oder für andere. Aktivität führt ins Leben zurück. Und irgendwann wird auch der Appetit wieder geweckt.
3. Kochen und gemeinsames Essen hilft gegen die Einsamkeit.
Dieser Punkt ist natürlich nah mit dem zweiten verwandt: Wenn gemeinschaftliches Kochen den Anstoß gibt, die Erstarrung durch Tun zu überwinden, so hilft das gemeinsame Verzehren des Zubereiteten gegen die Vereinzelung. Im Podcast wurde ein älterer Witwer interviewt, der einer jungen Nachbarin mit Kind unter die Arme greift, indem er ihr gelegentlich das Kochen abnimmt – und sich mit an den Tisch setzt.
Allerdings dürfte sich nicht für alle Trauernden ohne Weiteres eine solche Möglichkeit bieten. Und gerade Menschen, die ihren Partner / ihre Partnerin verloren haben, hält die Aussicht auf einsame Mahlzeiten häufig ganz und gar vom Kochen ab. Daher fand ich die Idee mit dem Hospiz-Kochkurs so faszinierend. In Deutschland habe ich von so etwas noch nicht gehört. Ihr vielleicht? Und fallen euch noch andere Aspekte des Kochens ein, die bei der Trauerbewältigung helfen könnten?
- Sommerlich: Reisnudelsalat mit Chili-Tofu
- Sonntags-Safran-Luxus: Linguine mit Dicken Bohnen
Mir fällt noch der anschließende bewußte (im Gegensatz zu dem beim unkontollierten Futtern einer Frustschoki) Genuss ein, der auch dazu beitragen kann, die graue Blase pltzen zu lassen.
Stimmt – danke für die Ergänzung, Eva! Wer den Appetit verloren hat (schreckliche Vorstellung), findet ihn vielleicht über bewusstes Schmecken und Sich-Zeit-Lassen wieder.
Ich habe ein paar Jahre einen Treffpunkt für Trauernde geleitet, und gemeinsames Kochen gelang uns da nicht (wohl gemeinsames Essen!). Trauernde sind wenig flexibel und kooperativ, wichtige Vorraussetzungen für gemeinsames Werkeln in einer Küche. Zudem berichteten viele davon, dass ihre bewährten Rezepte ihnen nicht mehr gelangen: Zutaten wurden vergessen, Hefeteige gingen nicht auf, Saucen „trennten“ sich und allgemein klappte das Abschmecken nicht mehr. Ich glaube, der Trauerprozess verbraucht gerade in der Anfangsphase soviel Kraft, dass für vertraute Verrichtungen des Alltags nicht mehr genug übrigbleibt. Kochkurse für Trauernde haben meiner Erfahrung nach nur Sinn, wenn sie in einer späteren Phase des Trauerprozesses begonnen werden oder, wie in einem Hospiz, in einer vertrauten Atmosphäre stattfinden und mit Menschen, die schon das Abschiednehmen begleitet haben.
Chawwa, deine Erfahrungen finde ich sehr, sehr spannend – vielen Dank dafür! Ja, vielleicht fand dieser Hospizkochkurs, der in der Sendung vorkam, in einer späteren Trauerphase statt; wenn man eben schon lange in der „grauen Blase“ steckt.
Dass du sagst, das mit dem Abschmecken hätte nicht mehr geklappt, erinnert mich an die Aussage einer Psychologin aus der Sendung. Die meinte, die Stresshormone, die den Körper in der Trauerphase „überschwemmen“, beeinträchtigten das Geschmacksempfinden (und dadurch im Endeffekt auch den Appetit – das hatte ich oben etwas verkürzt geschrieben).
Schön finde ich allerdings, dass in eurer Trauerbegleitungsgruppe trotzdem gemeinsames Essen eine Rolle gespielt hat!
Danke für den schönen Beitrag. Ich hätte ihn gerne geflattred, aber leider gibt es dafür keinen Button.
Danke für das Lob! Über Flattr denke ich vielleicht irgendwann noch mal neu nach – bisher habe ich davon Abstand genommen, weil ich immer wieder höre, dass dabei nicht mal genug für ein Eis zusammenkommt. ;-)
Jeder hat seine eigene Art, über Kummer oder Trauer hinwegzukommen. Ich zum Beispiel kann da überhaupt nicht kochen, da ich keinen Hunger verspüre. Mir helfen Gespräche mit der besten Freundin. Da wir uns schon sehr lange kennen, können wir auch offen über alles reden.
Mir hilft Kochen schon irgendwie bei Trauer- beziehungsweise Stressbewältigung. Wenn es mir psychisch nicht so gut geht, werde ich nervös und fahrig und muss mich beschäftigen. Beim Kochen habe ich dann das Gefühl, etwas Sinnvolles zu machen und es hat meditative Wirkung auf mich. Jedoch fällt mir auch auf, dass ich mich aufgrund der inneren Unruhe leichter schneide und schneller Fehler mache – die Gefahr vor Küchenunfällen ist also erhöht. Von diesem Standpunkt aus gesehen ist es vielleicht doch wieder fragwürdig sich so zu beruhigen…
Hallo Julia, den Aspekt habe ich noch gar nicht bedacht. Aber vielleicht helfen dann Rezepte, die weniger unfallträchtig sind? Beim Risottorühren zum Beispiel kann ich bestens abschalten, und passieren kann dabei nicht so viel. Im Zweifel kann man ja sogar die Zwiebel weglassen!
Hallo Sabine!
Ich muss zugeben ich bin generell ein kleiner Tollpatsch und verletzte mich schnell mal wo, aber glücklicherweise ist noch nie was Schlimmeres passiert. ;)
Stimmt Risotto kochen ist eine schöne, meditative Beschäftigung. Aber irgendwie auch ein bisschen langweilig, bei mir muss sich beim Kochen immer was tun damit ich richtig abschalten kann. Aber es ist wirklich interessant, wie unterschiedlich sich Trauer auswirkt. Die einen essen aus Frust viel zu viel, die anderen kriegen gar nichts mehr runter. Aber grundsätzlich würde ich schon sagen, dass Essen irgendwie glücklich macht und tröstet. Mit vollem Bauch grübelt es sich einfach schwerer. :D
„Mit vollem Bauch grübelt es sich schwerer“: Das könnte stimmen!