Flatbrød gegen Hamsuns Hunger
Es gibt Bücher, mit denen quäle ich mich. Und damit meine ich jetzt nicht solche, die ich schlichtweg blöd oder langweilig finde: Diese unendlich zähen Leseerfahrungen hatte ich zuletzt an der Uni. Heute nehme ich mir die Freiheit, ein Buch wegzulegen, wenn es mich nicht fesselt.
Nein, wirklich qualvolle Lektüre sind für mich Bücher wie Knut Hamsuns Hunger*: Bücher, in denen sich nie auch nur der kleinste Hoffnungsschimmer auftut und in denen man gezwungen ist, mit einer Figur von Anfang bis Ende mitzuleiden.
Der Inhalt von Hunger ist schnell erzählt: Ein junger Mann versucht sich im Oslo (damals noch Kristiania) des ausgehenden 19. Jahrhunderts als Journalist und Schriftsteller durchzuschlagen. Hin und wieder verdient er ein bisschen Geld, wenn es ihm gelingt, einen Artikel an eine Zeitung zu verkaufen. Meistens aber sind seine Taschen leer. Und zwar vollkommen leer. Er leidet Hunger, und der ist – wenig überraschend – das beherrschende Motiv im Roman. Der Hunger raubt ihm die Konzentration; der Mann ist unfähig zu schreiben und muss doch schreiben, um an Geld zu kommen und den Hunger stillen zu können.
Eigentlich handelt der gesamte Roman nur davon, wie die Hauptfigur durch die Stadt irrt, mal mehr und mal weniger hungrig (meistens mehr); mal in der Lage zu schreiben, mal nicht; mal mit Dach über dem Kopf, mal nicht. Am Ende – Achtung, Spoiler! – steht das (vorläufige) Scheitern: Der Mann, der sich als Journalist buchstäblich das tägliche Brot nicht verdienen kann, verdingt sich als Jungmann auf einem Schiff. Egal welche Arbeit auf ihn wartet: Er wird sie tun. Hauptsache, er bekommt etwas zu essen. Spoiler Ende. Der Roman trägt wohl stark autobiografische Züge.
Einfach nur Hunger?
Wenn also dieses Buch so quälend ist: Warum habe ich es dann jetzt sogar zum zweiten Mal gelesen? Weil mich interessiert hat, was genau Hamsun meint, wenn er vom Hunger schreibt. Ich behaupte ja, Essen sei niemals einfach nur Essen. Ist dann auch Hunger nie einfach nur Hunger? Ich gebe zu, dass die Antwort vermutlich von vornherein fest steht, wenn man sie in der Literatur sucht. Mit Magenknurren allein kann man kein Buch füllen – natürlich steht der Hunger hier für mehr.
Bei Hamsun ist Hunger: die Sehnsucht der Hauptfigur nach Anerkennung als Schriftsteller. Die Sehnsucht nach einem Platz in der Gesellschaft. Die Sehnsucht nach der Zuneigung eines anderen Menschen. Aber am stärksten wohl die Sehnsucht danach, sich wie ein Mensch zu fühlen statt wie ein ausgemergeltes, zähnefletschendes Tier, das nichts als den nächsten Bissen im Sinn hat.
Denn je schlimmer der Hunger, desto mehr beherrscht er nicht nur die Gedanken des jungen Mannes, sondern auch sein Tun. Der Mann irrt wie getrieben durch die Stadt, verhält sich wie betrunken, steigert sich in irre Fantasiebilder hinein – der Hunger nimmt ihm nicht nur die einzige Möglichkeit zum Geldverdienen, sondern nagt auch an seiner Selbstachtung und macht ihn zu jemandem, der nicht nur anderen befremdlich vorkommt, sondern sich auch selbst fremd ist.
Was fehlt Ihnen? fragte ein Mann.
Ich antwortete nicht, eilte nur fort, mein Gesicht vor allen Menschen verbergend.
Ich glaube tatsächlich, dass Hunger mehr ist als einfach nur ein körperliches Gefühl. Hamsuns Roman hat mir deutlich gezeigt, dass Hunger an der Menschenwürde kratzt. Und das gilt vermutlich für jeden einzelnen der weltweit rund 2 Milliarden Menschen, die nach Schätzung der Welthungerhilfe mangelernährt sind.
Ist das jetzt eigentlich eine Leseempfehlung? Jein. Das Buch ist zumindest nichts für Menschen, die sich ohnehin schon mutlos oder leicht depressiv fühlen. Andererseits: Wenn lesen, dann jetzt bei Sommerwetter, wenn einen so was nicht so schnell runterzieht. Denn bereichert hat mich der Roman schon. Und sei es nur um die banale Erkenntnis, wie dankbar ich dafür bin, dass diese Art von Hunger zumindest hier bei uns besiegt ist.
Das Rezept gegen den Hunger
Da ich mit diesem Artikel an Shermins Blogevent Lesehunger teilnehmen möchte, stand ich vor der Herausforderung, ein zum Buch passendes Rezept zu präsentieren. Nicht einfach, denn in dieser Odyssee mit leerem Magen geht es nicht um Genuss. Der Hungernde malt sich an keiner Stelle fantastische Festessen aus – er will einfach nur satt werden. Als er einmal ein paar Münzen in der Tasche hat und sich davon eine Mahlzeit mit Fleisch leistet, revoltiert sogleich sein Magen. Brot ist daher sein Grundnahrungsmittel; oft genug das einzige, und über weite Teile des Romans fehlt ihm sogar das. Und auch wenn er weiß, dass seine einseitige und allzu spärliche Kost der Grund dafür ist, dass ihm die Haare büschelweise ausfallen: wenn er nur Brot haben kann, ist zumindest das in ihm nagende Hungertier für eine Weile still.
Ein Brotrezept sollte es also sein. Meine Recherchen haben schnell zutage gefördert, dass die Norweger traditionell zu den Mahlzeiten eine Art Knäckefladen essen: Flatbrød. Natürlich gibt es dafür unendlich viele Rezepte, sodass ich mir im Endeffekt aus mehreren Quellen ein eigenes gebastelt habe.
Ich wollte kein reines Weizenmehlbrot zubereiten: Mein Hungerstillbrot sollte ruhig etwas grob und rustikal sein – zumal Weizen in Norwegen zumindest früher gar nicht angebaut werden konnte, Hafer dagegen schon. Deshalb habe ich eine Mischung aus Hafer-, Roggen- und Weizenvollkornmehl verwendet. Dass ich (wie es einige Rezepte vorsehen) Schmalz in den Teig gegeben habe, ist einzig und allein dem kleinen Schmalztöpfchen geschuldet, das mich seit allzu langer Zeit bei jedem Kühlschranköffnen vorwurfsvoll ansieht. Zugegeben, damit bin ich von dem Plan abgewichen, ein möglichst schlichtes Brot zu backen. Die Schmalzzugabe hatte aber den Effekt, dass sich der Teig wunderbar kneten und ausrollen ließ, ohne dass ich viel Mehl brauchte.
Bei der genauen Art des Backens teilten sich meine Rezeptquellen übrigens in zwei etwa gleich starke Fraktionen: Die einen backen das Flatbrød in einer heißen Pfanne ohne Fett, die anderen im Backofen. Ich habe halbe/halbe gemacht und dabei festgestellt, dass der Backofen das bessere Ergebnis liefert. Oder zumindest eins, das mir persönlich besser gefällt: Die in der Pfanne zubereiteten Fladen bleiben innen ein bisschen weich und bräunen (äh, schwärzen) außen ungleichmäßig. Das mag an meiner Pfanne liegen. Ich fand jedenfalls die gleichmäßig hellbraunen und knusprigen, stellenweise etwas aufgegangenen Knäckefladen aus dem Ofen besser. Sie schmecken intensiv getreidig, knacken schön und lassen sich perfekt einfach mit Frischkäse und ein bisschen Salz essen. Oder zu einem kräftigen Eintopf.
Norwegisches Flatbrød
Für 8 Knäckebrotfladen:
50 g Schweineschmalz
125 g Roggenvollkornmehl
125 g Hafervollkornmehl
200 g Weizenvollkornmehl
1/2 TL Salz
1/2 TL Natron
250 ml Buttermilch
Außerdem:
etwas Mehl zum Ausrollen
Das Schweineschmalz in einem kleinen Topf bei kleiner Hitze schmelzen und etwas abkühlen lassen. Die Mehlsorten mit Salz und Natron mischen, das Schmalz zugeben und die Buttermilch dazugießen (ich habe sie in die laufende Küchenmaschine gegossen).
Alles mit den Knethaken der Küchenmaschine oder von Hand zu einem Teig verkneten, den Teig zu einer Kugel formen und in 8 Portionen teilen.
Den Backofen auf 200 °C vorheizen (Umluft 180 °C, ebenfalls vorheizen). Jede Teigportion mit dem Nudelholz auf wenig Mehl zu einem sehr dünnen Fladen (Durchmesser ca. 20 cm) ausrollen. Die Fladen portionsweise auf dem Gitterrost im heißen Ofen (mittlere Schiene) je ca. 13 Min. backen, bis sie hellbraun und knusprig sind. Die fertigen Fladen herausnehmen und auf einem Kuchengitter (oder Geschirrabtropfgitter) auskühlen lassen.
Arbeitszeit: vermutlich so was wie 30, 40 Minuten – also für Brot ziemlich fix. Wenn man nicht gerade beim Backen seine neue Kamera ausprobiert …
Knut Hamsun:
Hunger* (meine hier fotografierte Ausgabe ist etwas älter)
Aus dem Norwegischen von Julius Sandmeier und Sophie Angermann
dtv
- Sättigung, Genuss und die Sache mit dem Buffet
- Hmm, Lakritz – iih, Bärendreck!
Liebe Sabine,
erstmal ein Willkommen in der Welt der Blogger. Ich stell dir mal nachträglich Brot und Salz zum virtuellen Einzug hin – passt ja auch zu deinem gewählten Thema. ;) Da hast du dir ja wirklich schwere Kost ausgesucht, ich musste erstmal weiter Dinge über den Autor lesen. Vielen Dank für deine Teilnahme!
Vielen Dank für die Willkommensgrüße! Ja, schwere Kost schon – aber auch eine, die lange vorhält. Manche der Szenen aus dem Buch gehen mir schon immer wieder durch den Kopf.
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Schön, dass Du das Ergebnis dieses interessanten Projekts hierher verlinkt hast. Ich habe es eben mal überflogen, um zu sehen, welche Bücher die TeilnehmerInnen zum Kochen angeregt haben und einige mir bekannte, aber noch viel mehr unbekannte gefunden. Einiges werde ich mal interessehalber (nach)lesen. Knut Hamsuns „Hunger“ aber sicher nicht. Es stand im Bücherschrank meiner Eltern und ich habe es viel zu früh gelesen, als die eigenen Hungererfahrungen noch zu frisch waren, und ich noch keine erwachsene Distanz zum Gelesenen hatte. Aber ich werde mir mal wieder „Tausend strahlende Sonnen“ vorholen und an den Kabuler Bazar in Shar-e-Nau zurückdenken, wo übrigens ein vertrautes Gemüse mit dem schönen Namen „Blummenkoll“ angepriesen wurde…….
Ja, eine interessante Blogparade, finde ich auch, Chawwa. Und bei aller erwachsenen Distanz und ohne eigene Hungererfahrungen finde ich „Hunger“ auch selbst schwer zu ertragen. Aber für mich definitiv lohnend. Unter den Titeln der anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer muss ich auch noch mal stöbern!
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