Deutsche Heimwehküche in England
Manche Gerichte gehören einfach so selbstverständlich zu unserem Leben, dass wir darüber kaum nachdenken – geschweige denn in uns hineinhorchen, was wir emotional mit ihnen verbinden. Was aber, wenn dieses Selbstverständliche gar nicht mehr selbstverständlich ist? Weil sich die Lebensumstände geändert haben zum Beispiel? In dieser Interviewreihe befrage ich Menschen, die aus dem Land ihrer Kindheit weggezogen sind, nach Essgewohnheiten, Lieblingsgerichten und einem Heimwehgefühl, das sich am Geschmack von früher festmacht. Die anderen Interviews der Reihe finden sich hier.
Ich freue mich sehr, dass meine Freundin Wiebke meine Fragen beantwortet hat, denn mit ihr habe ich schon viele Tassen Tee getrunken, während wir über Gott und die Welt, das Essen und das Chorsingen geredet haben. Jetzt sitzt sie teemäßig an der Quelle …
Seit wann lebst du in England und warum bist du hingezogen?
Ich lebe seit dreieinhalb Jahren in London. Hergezogen bin ich, weil ich England schon sehr, sehr lange unglaublich toll fand und endlich einen passenden Job gefunden hatte, von dem man in London auch leben kann. Und nach wie vor gefällt es mir wirklich sehr gut.
Was empfindest du als typisch britische Essgewohnheiten?
Ganz typisch ist für mich die Teatime mit den tausend unterschiedlichen Kuchen und Sandwiches und allem, was sonst noch dazugehört. Und natürlich fallen mir sofort Fish & Chips und Pies in allen Varianten ein.
Was mir aber außerdem in England auffällt, ist das andere Verhältnis zur Jahreszeitenküche. Saisonales Kochen wird erst ganz allmählich Thema. So was wie Spargelzeit oder Erdbeerzeit kennen die Leute hier nicht. Erdbeeren gibt es das ganze Jahr über, und im Herbst hört man dann gelegentlich Kommentare, dass die aber gerade ein bisschen wässrig schmecken. Dass es so was wie eine Saison für Erdbeeren gibt, ist den Leuten hier gar nicht bewusst.
Das liegt vielleicht auch daran, dass Märkte hier eine viel kleinere Rolle spielen. Die Farmers’ Markets finden ja anders als unsere Wochenmärkte manchmal nur einmal im Monat statt. Dann wird als große Attraktion angekündigt: „Hier in diesem Viertel gibt es einen Markt – jeden ersten Samstag im Monat!“ Das nimmt zwar inzwischen zu, aber es ist längst nicht so wie bei uns, wo fast jeder Stadtteil seinen eigenen Wochenmarkt hat, vielleicht sogar mehrmals in der Woche.
Auch das Verständnis von gesundem Essen ist ein anderes. Meine ehemalige Mitbewohnerin macht eine Ausbildung zur Ernährungsberaterin, und da habe ich einiges mitbekommen. In Deutschland hat Ernährungsberatung ja das Ziel, dass man ausgewogen kocht und isst und dadurch alle wichtigen Stoffe zu sich nimmt, die der Körper braucht. In England läuft es eher so, dass einem lauter Vitaminpillen in die Hand gedrückt werden. Natürlich wird auch aufs Essen und Kochen geguckt, aber vor allem kommen ganz schnell diese Nahrungsergänzungsstoffe ins Spiel. Meine Ex-Mitbewohnerin achtet sehr auf gesunde Ernährung, verzichtet auf raffinierten Zucker, reduziert Kaffee, trinkt Kräutertees, isst sehr viel Obst und Gemüse – und trotzdem wirft sie diese Pillen ein. Das ist einfach ein ganz anderes Verständnis von Ernährung.
Welche britischen Essensvorlieben hast du denn übernommen?
Briten essen abends warm, aber das mache ich auch, weil ich es noch nie mit meinem Alltag vereinbaren konnte, mittags warm zu essen. Mir kommt es daher immer komisch vor, wenn ich mal sonntags bei meinen Eltern bin und da warm zu Mittag gegessen wird. In dieser Hinsicht kommen mir die hiesigen Essgewohnheiten sehr entgegen. Und meinen Tee habe ich auch schon vorher mit Milch getrunken.
Dass ich mir aber mittags ein Sandwich in einem der tausend Sandwich-Shops in der Innenstadt hole, wenn ich es mal nicht geschafft habe, mir etwas zu essen von zu Hause mitzubringen – das habe ich mir hier erst angewöhnt. Ich bin ein großer Fan dieser Sandwiches geworden, am liebsten mit Thunfisch oder Ham & Cheese oder, um die Weihnachtszeit, mit Geflügel und Cranberry-Sauce.
Außerdem gehe ich häufiger essen als in Deutschland, und das ist hier auch viel üblicher. Gerade in London kommt es oft vor, dass man vor dem Theater, Kino oder Konzert noch schnell in ein Restaurant geht, weil einfach alle Leute so weit draußen wohnen, dass sie nach der Arbeit nicht noch schnell nach Hause fahren können. Man trifft sich also und geht erst mal was essen, und sei es nur eine Kleinigkeit.
Deshalb esse ich auch internationaler, seit ich hier wohne, allein schon, weil man so viele verschiedene Restaurants ausprobiert. Ich war gerade in einem japanischen Restaurant, wo sie so eine Art Mittelding aus Omelette und Pfannkuchen direkt am Tisch gebacken haben. Das war superlecker, und ich bin sofort ins Internet gegangen und habe mir Rezepte angeschaut. Vielleicht probiere ich das jetzt auch mal zu Hause aus. Man kriegt hier viele Anregungen in Sachen internationaler Küche, und vor allem bekommt man auch die Zutaten dafür.
Aber insgesamt glaube ich, dass ich mich schon in Deutschland nicht besonders deutsch ernährt habe. Bei deutscher Küche fallen einem doch als Erstes bayerische Schweinshaxen oder schwäbische Spätzle ein! Mir fällt es schwer, die norddeutsche Küche als etwas typisch Deutsches zu sehen. Ich esse wahnsinnig viel Gemüse, Eintöpfe, Currys oder mal eine Ratatouille, das war vorher schon so. Im Großen und Ganzen habe ich meine Essgewohnheiten nicht sehr verändert.
Gibt es britische Essgewohnheiten, die du nach wie vor seltsam oder sogar fies findest?
Womit ich nicht so klarkomme, das sind Innereien. Steak and Kidney Pie würde ich nie bestellen, trotz meiner großen Vorliebe für englische Pies. Und der steht tatsächlich in vielen Pubs auf der Karte. Innereien gehören hier viel mehr dazu als bei uns, auch wenn die jüngere Generation davon ein bisschen abrückt. Haggis habe ich probiert – okay, das ist jetzt nicht englisch, sondern schottisch. Das hat auch gar nicht so schlecht geschmeckt, aber allein der Gedanke an das, was da drin ist, lässt mich nicht los. Ein richtiges Cooked English Breakfast mag ich auch gerne, aber den Black Pudding, der manchmal dazugehört, würde ich nicht essen.
Gibt es Lebensmittel, die du in der neuen Heimat vermisst und die du dir von Besuchern aus Deutschland mitbringen lässt?
Was ich mir mitbringen lasse, ist zum Beispiel Carokaffee. Aber ich habe jetzt auch einen ganz normalen Supermarkt gefunden, der ihn hat, und das hat mich sehr glücklich gemacht. In meinem Freundeskreis hat sich außerdem herumgesprochen, dass ich Bio-Zartbitterschokoladencreme, also den Brotaufstrich, sehr lecker finde. Im letzten Jahr hat mir, glaube ich, jeder ein bis zwei Gläser mitgebracht, sodass ich jetzt sechs Gläser hier herumstehen habe. Das ist dann wohl der Jahresvorrat. (lacht)
Zum Glück! Denn neulich habe ich in einem Laden genauso einen Aufstrich gesehen, auch in Bio. Weil das Glas auch noch gleich aussah, dachte ich: Ha, das ist bestimmt der gleiche Hersteller, und die haben einfach nur ein anderes Etikett draufgeklebt. Ich habe das also freudig gekauft und am nächsten Morgen auf mein Brot gestrichen – aber diese Creme schmeckte fast nur nach Zucker, ganz furchtbar. Im Endeffekt habe ich das Glas weggeworfen. Das passiert mir hier häufiger, dass ich bei einer Schokolade oder Süßigkeit denke: Hey, die kenne ich aus Deutschland! Aber dann sieht sie zwar gleich aus und hat auch die gleiche Konsistenz, aber die doppelte Menge Zucker.
Was ich auch vermisse, ist die Auswahl, wie es sie in deutschen Bäckereien gibt. Brot, das dem zu Hause nahekommt, gibt es manchmal im Supermarkt, auch Schwarzbrot in Dosen. Aber die Auswahl, die fehlt mir.
Richtiges „Heimweh“ nach bestimmten Lebensmitteln habe ich übrigens neulich erlebt, als ich auf dem Bahnhof Paddington einen neuen kleinen Laden mit südafrikanischen Spezialitäten entdeckt habe. Ich habe mit meiner Familie von meinem fünften bis zum zehnten Lebensjahr in Südafrika gelebt. Das war eine sehr prägende Zeit, an die ich viele Erinnerungen habe. Und auf einmal stand ich da und hätte den gesamten Laden leer kaufen können. Ich war wieder fünf Jahre alt und wusste plötzlich bei einem Blick auf die Packung wieder genau, wie die Kekse schmecken. Das fand ich total spannend. Ich habe dann alles Mögliche gekauft: Kekse, ein Bier, Tee, bestimmte Knäckebrotsorten, bestimmte Gewürze, Biltong (getrocknetes Fleisch). Das habe ich mit nach Deutschland gebracht, und unsere ganze Familie saß schreiend über diesen Kekspackungen, die wir ja bisher in Europa einfach nicht bekommen konnten.
Wenn du wieder nach Deutschland zurückkehren würdest, welche englischen Lebensmittel oder Rezepte würdest du mitnehmen (oder Dir in Zukunft mitbringen lassen)?
Cheddar! Den haben sie in Deutschland einfach noch nicht verstanden. Da kriegt man ja höchstens mal diesen orange gefärbten Gummikäse, der aber überhaupt gar nichts mit dem hiesigen Cheddar zu tun hat. Diesen Käse gibt es in den unterschiedlichsten Reifegraden und Varianten, und er schmeckt toll auf Brot, macht sich aber auch richtig gut in Käsesaucen, weil er eine unglaublich cremige Konsistenz ergibt.
Für bestimmte englische Kekssorten bin ich auch früher schon durch halb Hamburg gefahren zu den Läden, in denen es sie gab. Und Tees wie Lady Grey habe ich mir damals immer in Massen aus England mitgebracht. Heute bekomme ich von meinen Freundinnen aus Deutschland Mitbringaufträge dafür.
Vermissen würde ich die Pies. Wenn ich mal keine Lust zum Kochen habe, dann hole ich mir im Supermarkt eine kleine Pie. Die gibt es auch in Bio, mit wirklich interessanten Gemüsevarianten. Die schiebt man einfach in den Ofen und hat eine anständige Mahlzeit. Das würde mir fehlen, genau wie die große Bandbreite an frischen Fertiggerichten wie Suppen. Wenn ich es am Wochenende mal nicht geschafft habe, für die Woche vorzukochen, dann nehme ich mir schon mal nach der Arbeit eine solche frische Suppe mit und wärme die zu Hause auf, bevor ich zur Chorprobe muss. Klar, es gibt auch ganz furchtbare Fertiggerichte – aber eben auch viel Frisches.
Gibt es irgendwelche Gerichte, auf die du Lust bekommst, wenn dich Heimweh überfällt? Und kochst du sie dir dann?
Weißer Spargel ist so ein Heimwehgericht. Den bekommt man hier kaum, und wenn, dann ist er teuer, und es macht schon einen Unterschied, ob man den Spargel frisch von Feldern in der Umgebung bekommt oder ob es drei Wochen alter aus Griechenland ist. Grünspargel kriegt man natürlich jede Menge, aber weißer ist einfach was anderes. Und wenn ich ihn dann mal sehe, nehme ich ihn auch mit und koche ihn.
Kohlrabi gehört hier auch nicht zum Standardangebot. Gelegentlich erscheint mal ein Artikel in einer Zeitschrift, in dem der Umgang mit diesem komischen Gemüse erklärt wird – wie man es zubereitet, dass man es vorher schält und so weiter. Das finde ich schon ganz lustig. Trotzdem kriegt man Kohlrabi nur in irgendwelchen Bioläden oder auf dem Borough Market, und auch da nur an zwei Ständen. Irgendwie fasst dieses Gemüse hier so gar nicht Fuß. Dafür essen sie hier viel mehr Pastinaken. Die gibt es natürlich in Deutschland auch, aber hier haben sie den gleichen Stellenwert wie Möhren.
Aber ein Gericht vermisse ich wirklich: Das sind die Kartoffelpuffer meines Vaters, denn der macht die allerbesten. Und die kriegt man nirgendwo anders her.
Vielen Dank, liebe Wiebke, dass Du Dich hast ausfragen lassen!
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