Nicht schnacken, kochen! Das Flüchtlingskochbuch Look + Cook

Cover des Kochbuchs Look + Cook

Foto: Nina Janßen, Lisa Lowitsch-Gramse

Abdollah_kochtKonzentriert falten Hashim und Abdollah Küchenpapier zu einem armlangen, schmalen Streifen, den sie um den Rand des Zwanzig-Liter-Topfes legen. Deckel drauf – perfekt dicht. Jetzt kann der Reis im Dampf schon locker und körnig werden und unten eine Kruste bekommen. So kennen sie ihn aus Afghanistan, und so wollen sie ihn heute Abend servieren. Die Leute sind schließlich zu einer Kochbuchvorstellung gekommen; da ist gutes Essen Ehrensache.

 

Während sich der Raum des Kulturzentrums Kölibri auf St. Pauli langsam mit Gästen füllt, steht neben Hashim und Abdollah eine junge Frau mit blau gemustertem Kopftuch am Herd und lässt knallbunte Klöße in heißes Öl gleiten. „Nafaqo“, erklärt sie und korrigiert geduldig meine unbeholfene Aussprache des somalischen Wortes. Wir brauchen ein paar Anläufe, bis mir Fardowsa erklärt hat, was das für ein Gericht ist. Sie sucht nach den richtigen deutschen Wörtern, ihre Freundin Muna ergänzt, und auch ein paar der anderen Jugendlichen helfen mit Begriffen aus. Aha, der Kartoffel-Käse-Teig umhüllt also ein hartgekochtes Ei. Und das leuchtende Rot, das knallige Gelb? Fardowsa zeigt auf zwei Döschen mit Lebensmittelfarbpulver.

Nafaqo: somalische Kartoffelklöße mit Ei

Gemeinsam kochen, sich dabei mit Händen, Füßen und gemeinsamen Worten in mehreren Sprachen verständigen: Darin haben Fardowsa und Muna inzwischen Routine. Schließlich haben sie auf diese Weise im Sommer 2014 zwei Wochen lang am Küchenblock des Kölibri mit Lebensmitteln, Messern und Töpfen hantiert. Herausgekommen ist ein Werk, das an diesem Abend (neben einem in einem anderen Projekt entstandenen Film) endlich dem Publikum vorgestellt wird: Look + Cook, ein Kochbuch, das fast ohne Worte auskommt.

Nina Janßen, Lisa Lowitsch-Gramse bei der Buchvorstellung„Sprache kann ja auch eine Barriere sein“, erklärt Nina Janßen, die das Projekt zusammen mit Lisa Lowitsch-Gramse bei der GWA St. Pauli begleitet hat. Elf Jugendliche nahmen teil: aus Somalia und Ägypten, Benin und Gambia. Sie alle werden in der Hamburger Statistik als „minderjährige unbegleitete Flüchtlinge“ geführt, weil sie alleine in der Hansestadt ankamen, ohne Eltern, ohne Verwandte, ohne Sprache und Kultur des Aufnahmelands zu kennen. Wenn alles um einen herum fremd ist, wird vertrautes Essen ein Stück Heimat.

Als Kind habe ich meiner Schwester nur beim Kochen zugeschaut. Zum ersten Mal selbst gekocht habe ich erst in Mümmelmannsberg, weil ich mich nach dem Geschmack von früher gesehnt habe.
(Amadou, 17, Guinea Conakry; Look + Cook, Seite 64)

Genau wie Amadou hatten etliche der (gerade männlichen) Jugendlichen nie gekocht, solange sie noch zu Hause wohnten. Erst in Deutschland versuchten sie sich an die Handgriffe zu erinnern, die sie bei ihren Müttern oder Schwestern gesehen hatten, oder sie guckten sich die heimatlichen Gerichte bei anderen Flüchtlingen ab.

Lernen durch Abschauen ist auch das Prinzip des Kochbuchs Look + Cook: Die Rezepte zeigen jeden einzelnen Zubereitungsschritt im Foto. Sprache wird nur dort verwendet, wo sie unumgänglich ist – weil ein Bild beispielsweise nicht deutlich machen kann, wie lange etwas kochen muss. Eine tolle (und visuell überzeugend umgesetzte) Idee, aber eine Herausforderung für die Projektteilnehmer_innen. Immer wieder kam es vor, dass eine Zutat im Eifer des Gefechts schnell im Topf landete, obwohl sie noch nicht fotografiert war.

Dabei hatten die Initiatorinnen vorab mit den Jugendlichen ein detailliertes Storyboard aufgestellt – unter erschwerten Bedingungen, wie Nina erzählt: „Diese Vorbereitungstreffen fanden während des Ramadans statt, und es war ziemlich heiß in Hamburg. Während wir also zusammensaßen und in allen Einzelheiten über die geplanten Rezepte sprachen, durften die muslimischen Jugendlichen noch nicht einmal ein Glas Wasser trinken.“

Die Koch- und Fotophase des Projekts fing natürlich erst nach dem Ramadan an. So konnten alle die Ergebnisse der gemeinsamen Küchenwerkelei auch gemeinsam verkostet werden. „Und sie haben alle toll geschmeckt!“, bekräftigt Nina. „Sogar mir, und ich bin eigentlich eine ziemlich mäkelige Esserin.“

Tatsächlich machen die Fotos in dem Kochbuch Appetit; Appetit auf Gerichte wie Effô mit Fufu (Fisch mit Gemüse und Fufu, Maniokbrei), Somali Bris (bunter Gewürzreis) oder Hako Puteh (eine Art Ragout aus Forelle und Rindfleisch mit Süßkartoffelblättern und Okraschoten). Ohne dass es ursprünglich so gedacht war, ist bei dem Projekt ein Handbuch zur Küche eines bei uns kulinarisch unterrepräsentierten Kontinents entstanden: Außer den Initiatorinnen und zwei französischen Praktikantinnen stammen nämlich alle Teilnehmer_innen aus Afrika. (Hashim und Abdollah aus Afghanistan kochen zwar am Abend der Kochbuchvorstellung, konnten aber an dem eigentlichen Projekt nicht teilnehmen – „Ich war nicht da, leider“, erklärt Abdollah.)

Innenseiten des Kochbuchs Look + Cook

Fotos: Christian Schildmacher, Nina Janßen, Lisa Lowitsch-Gramse

Schon allein wegen der spannenden Rezepte ist Look + Cook eine Bereicherung für das Kochbuchregal – aber keineswegs nur deshalb. Das Buch ist eben nicht nur gut gemeint, sondern auch gut gemacht; nicht umsonst sind die Initiatorinnen Grafikerin respektive Fotografin, und mit Christian Schildmacher war ein weiterer professioneller Fotograf beteiligt. Eingestreute Fotos fangen die Atmosphäre der internationalen Kochtreffen wunderbar ein, die Foodfotos sehen zum Anbeißen aus, und die einfühlsamen Porträts der Jugendlichen zeigen deutlich, dass sich die anonyme Masse der „Flüchtlinge“ aus den Nachrichten bei näherem Hinsehen auflöst in Menschen mit ihrer jeweils ganz eigenen Geschichte und Kultur.

Im Zentrum [des Workshops] stand das Thema „Kochen und Essen“ – ein Thema, zu dem jeder etwas beitragen kann, das in jeder Gesellschaft Ausdruck der Kultur ist und ein wesentlicher Bestandteil im Leben aller Menschen. Zudem lässt es sich darüber leicht mit der eigenen Herkunft und Kultur beschäftigen, sich austauschen, ohne dass das persönliche Schicksal im Vordergrund stehen muss.
(Look + Cook, Vorwort, Seite 7)

An diesem Abend im Kölibri sind diese Schicksale, ist der schwierige Alltag ohnehin für einen Moment vergessen, als die Teilnehmenden nacheinander vortreten und stolz das Belegexemplar „ihres“ Kochbuchs entgegennehmen. Jetzt kann gefeiert werden: mit Reis und Qorma Sabzi (mit getrockneten Limetten gewürztem Spinat), mit Fardowsas bunten Klößen, mit Teigtäschchen, gebratenen Kochbananen und Dips. Die erste Auflage des Kochbuchs Look + Cook wird noch bei der Release Party ausverkauft.

Buffet bei der Release Party für Look + Cook

Plakat mit Innenseite aus dem Kochbuch am Fenster des Kölibri

Draußen Hamburger Winter, drinnen afrikanische Küche

Look + Cook
GAW St. Pauli e. V. (Hrsg.)
Lisa Lowitsch-Gramse, Nina Janßen (Konzept)
Christian Schildmacher, Lisa Lowitsch-Gramse, Nina Janßen (Fotos)

Das Kochbuch kann zum Preis von 35 € direkt bei den Initiatorinnen unter bilder-kochbuch@gmx.de bestellt werden.

13 Gedanken zu “Nicht schnacken, kochen! Das Flüchtlingskochbuch Look + Cook

      1. Dietlind

        Oh, wunderbar, noch so ein schönes Projekt! Und toll, wenn echte Herstellungsprofis dabei sind, sodass auch ein wirklich gut gemachtes Buch dabei herauskommt. Das Cover gefällt mir sehr gut.

  1. Susanne

    Ich liebe Kochbücher. Und das ist nicht nur wunderbar gemacht, es steckt auch eine ganz wunderbare Idee dahinter. Danke für Deine Reportage. Das Buch muss ich haben!
    Liebe Grüße Susanne

  2. Bettina Sturm

    Ich liebe die Kombination von Kultur und Essen. Denn Essen verbindet für mich die unterschiedlichen Kulturen. Macht Herz, Hirn und den Magen auf für neue Erfahrungen. Das ist in diesem Projekt ganz wunderbar gelungen. Ganz toll!
    Und Kochbücher liebe ich auch! Ich habe das Buch sofort bestellt. Freue mich jetzt schon riesig darauf es in der Hand zu halten: spüren, sehen und dann nachkochen. Wunderbar!

    Toll, dass Du darüber berichtet hast. Danke!

  3. Anke von Heyl

    Liebe Sabine,
    ich kann mich nur anschließen: tolles Buch, toller Bericht und eine sehr schöne Idee! Finde, es ist auch wichtig, dass man kreative Dinge mit den Flüchtlingen unternimmt. Klar, wichtig sind organisatorische Sachen wie Ämterbegleitung, Briefe übersetzen. Natürlich auch Deutsch lernen. Aber durch solche Aktionen wird sicher tausend Mal mehr motiviert, sich mit der Sprache zu beschäftigen.
    Ich lese mich jetzt ein bisschen durch dein Blog. Gefällt mir ;-)
    Herzliche Grüße von Anke aka Kulturtussi

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Ich glaube, das Tolle ist eben auch, dass „die Flüchtlinge“ in solchen Projekten nicht immer als die Bedürftigen auftreten, sondern eben auch als Kulturvermittler – als diejenigen, die etwas zu geben haben.

  4. Pingback: Lesebrösel: Kulturaustausch beim Kochen | Schmeckt nach mehr

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