Das Auge schmeckt mit
Letzte Woche habe ich einen pechschwarzen Kuchen gebacken. Ja, der sollte so, er war lecker und wirklich und wahrhaftig pechschwarz. Die Farbe stammte vom schwarzen Sesam, der Hauptzutat, und neben schwarzem Sesam kam auch Tahin (Sesammus) hinein – wenig überraschend also, dass das Ergebnis intensiv nach Sesam schmeckte. (Rezept gibt es hier.)
Meine Bürokolleginnen, denen ich den Kuchen mitbrachte, guckten erst erstaunt, probierten aber und waren angetan. Und dann sagte eine: „Ich finde, der schmeckt nach Mohn.“
Wer Mohn und Sesam nebeneinander isst, würde vermutlich niemals behaupten, die beiden schmeckten gleich. Wer aber Sesam als helle Samen kennt, Mohn als dunkle, und dann in etwas Schwarzes beißt, der kann durchaus Mohn schmecken, auch wenn Sesam drin ist. Erstaunlich. Sind nicht für Geschmacksfragen eigentlich Zunge und Nase zuständig?
Wie wir wirklich schmecken
Tatsächlich spielt das Auge dabei eine viel größere Rolle, als man meinen könnte. Noch mal zur Erinnerung: Die Zunge hat eigentlich relativ beschränkte Schmeckmöglichkeiten. Ihre Rezeptoren können gerade einmal Süß, Sauer, Salzig, Bitter und Umami wahrnehmen. Letzteres ist der runde, „fleischige“ Geschmack glutamathaltiger Speisen wie Parmesan, Tomaten und Sojasauce. Na gut, neuere Forschungen legen nahe, dass auch Fett über die Zunge schmeckbar ist. Aber das war’s dann auch schon.
Den Unterschied zwischen Him- und Erdbeeren oder zwischen Fisch und Fleisch „erschmecken“ wir dagegen über die Nase. Das ist vermutlich jedem klar, der schon einmal bei einer fetten Erkältung den Eindruck hatte, auf nasser Pappe herumzukauen statt auf Steak oder Salat. Der Geruchs-, nicht der Geschmackssinn sorgt also für Genuss beim Essen.
Nur ist der Mensch halt ein Augentier. Im Laufe der Evolution hat unser Geruchssinn an Bedeutung eingebüßt, denn unsere Vorfahren haben ihre Beute nicht erschnüffelt, sondern auf Sicht erjagt. Visuelle Reize werden beim Menschen extrem schnell verarbeitet – und im Zweifel für die Wahrheit gehalten, auch wenn andere Sinne widersprechende Signale senden.
Augen zu beim Weinprobieren!
Besonders eindrücklich bewies das ein Experiment, das drei französische Wissenschaftler 2001 durchführten. Sie ließen 54 Önologie-Studierende, also angehende Weinexperten, einen Rot- und einen Weißwein probieren und baten sie, anzugeben, wie stark bei beiden bestimmte Geruchs-/Geschmackscharakteristika ausgeprägt seien. Die Proband_innen durften dazu aus einer Liste vorgegebener Begriffe wählen, aber auch eigene Begriffe ergänzen. Wenig überraschend: Bei dieser Probe wurden dem Weißwein Begriffe wie „Litschi“ oder „blumig“ zugeordnet, dem Rotwein „schokoladig“ oder „Kirsche“.
Danach gab es eine zweite Testrunde: gleiche Besetzung, gleiche Aufgabenstellung. Wieder bekamen die Testpersonen einen roten und einen weißen Wein eingeschenkt. Was sie allerdings nicht wussten: Sie hatten im einen Glas denselben Weißwein, den sie auch schon in der ersten Runde verkostet hatten – und im zweiten Glas auch, nur rot eingefärbt. (Dass der Farbstoff keinen Einfluss auf den Geschmack hatte, war vorher mit anderen Testpersonen überprüft worden.) Der gleiche Wein, dem in der Runde zuvor das weißweintypische Aroma von Litschi, Birnen, Zitrusfrüchten und Blumen zugeschrieben worden war, schmeckte den Proband_innen nun nach Kirsche, Trockenpflaume und Schokolade mit deutlichen Anklängen an schwarzen Pfeffer – genau den Aromen also, die in der ersten Runde benutzt worden waren, um den Rotwein zu beschreiben. Keine der 54 Testpersonen merkte, dass sie tatsächlich Weißwein im Glas hatte. Alle sahen Rot und schmeckten Rotwein.
Das Auge spielt also eine nicht zu unterschätzende Rolle bei dem, was wir schmecken – und bei dem, was uns schmeckt. Habt ihr euch schon mal gefragt, warum es fast nur noch rotbackige oder gleich knallrote Äpfel gibt? Weil die meisten Leute (fälschlicherweise) davon ausgehen, dass rotschalige Apfelsorten süßer sind als grünschalige, und lieber zu Ersteren greifen.
Blau macht flau
Andersherum zeigt sich nicht nur in der Gummibärchentüte, dass Blau für Lebensmittel eine schwierige Farbe ist. Ein richtiger Blauton kommt bei Essbarem selten vor; fast alle „blauen“ Lebensmittel wie Blaubeeren oder Blaukraut (Rotkohl) sehen tatsächlich eher lila aus. Und liegt Blaues dann doch mal auf dem Teller, scheiden sich daran durchaus die Geister: Blauschimmelkäse darf man wohl als „acquired taste“ bezeichnen.
Auch im Cookbook of Colors, das Uwe von High Foodality 2012 als Jahresevent ausrief, kamen zu den Farben Hellblau, Blau, Lila und Schwarz deutlich weniger Rezepte zusammen als beispielsweise zu Weiß oder Rot, der Einsatz von Speisefarbe stieg merklich an, und nicht alle eingereichten Kreationen machen Appetit. Manche Forscher_innen gehen davon aus, dass Blau vom Menschen als Warnfarbe interpretiert wird: „Achtung, hier könnte etwas schimmlig oder verdorben sein!“
Ganz schwierig wird es, wenn Blau bei einer Speise auftaucht, bei der man es nicht erwartet. Das löst offenbar ziemlich zuverlässig ein „Finger weg!“-Signal aus. Zu einer Party in den wilden Neunzigern brachte einmal eine Freundin Eiersalat mit, den sie passend zum Partymotto „Schrill“ blau eingefärbt hatte. Der Salat war köstlich – und blieb auf dem Buffet stehen. Ihn zu probieren bedeutete eine echte Mutprobe (der sich Frau S. natürlich furchtlos stellte). Ein paar Freundinnen sagten sogar, ihnen würde schon beim bloßen Anblick schlecht.
Wahrscheinlich liegt hier auch der Grund dafür, dass diese fies blaue Eissorte (bei uns hieß sie „Engelblau“, ich habe sie aber auch schon als „Schlumpfeis“ gesehen) bei Kindern nach wie vor so beliebt ist: Bestimmt geht es mindestens genauso sehr darum, die Erwachsenen zu schocken, wie darum, wirklich am süßen Blau zu lecken. Klappt ja auch zuverlässig: Ich habe noch nie erlebt, dass Eltern ihren Kindern die Sorte erlaubt hätten, ohne wenigstens die Nase zu rümpfen.
Färben, tricksen, täuschen
Wozu die meistens allerdings keinen Grund haben: Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie selbst regelmäßig gefärbte Lebensmittel konsumieren – allerdings wohl solche, denen die Farbe den Anschein größerer Natürlichkeit geben soll. Mit Zuckerkulör braun gefärbtes Brot soll vollkörnig und gesund aussehen, durch Beta-Carotin knallgelber Gouda besonders rund und voll schmecken, rosafarbener Joghurt einen höheren Fruchtanteil vortäuschen, als er tatsächlich enthält, knallschwarze Oliven gaukeln vor, sie wären reif geerntet worden. Sogar informierte Verbraucher_innen lassen sich dadurch hinters Licht führen.
Und, was heißt das jetzt? Augen zu und erst mal ordentlich schmecken lernen? Nun ja. Dem Glauben, dass der Wegfall eines Sinnes (der Sicht) ganz unglaubliche Erfahrungen der anderen (Geruch, Geschmack) ermöglicht, verdanken ja wohl die Dunkelrestaurants ihren Erfolg. Wir haben vor einiger Zeit einen Gutschein für eines davon geschenkt bekommen und das Essen im Stockdustern ausprobiert. Abgesehen davon, dass ich mir gewünscht hätte, mein Gehör auch abschalten zu können (es war voll, und an den Nebentischen unterhielten sich die Mitspeisenden lautstark in Hörweite der blinden Kellner, ob sie lieber blind wären oder nicht lieber doch querschnittsgelähmt, wenn sie die Wahl hätten) – abgesehen davon also fehlte mir zum Genuss auch der visuelle Eindruck.
Das Essen war ohnehin eher als Ratespiel denn unter kulinarischen Gesichtspunkten konzipiert: Wir konnten nur pauschal ein Themenmenü wählen und aßen, ohne zu wissen, was. Aufgelöst wurde erst beim Verlassen des Restaurants, und da durfte man sich dann fragen, ob der Agar-Agar-„Kaviar“ außer Überraschungs- wohl auch eine Geschmacksfunktion hatte. Trotzdem überlege ich seitdem, ob ich die Möhren-Orangen-Suppe mit Ingwer nicht mehr genossen hätte, wenn ich sie leuchtend orangefarben vor mir im Teller gesehen hätte, statt nur einen Geschmackseindruck von Gemüsebrühe mit unangenehmer Säure zu bekommen. Ich vermute schon.
Und wie ist es bei euch? Hattet ihr schon Erlebnisse in Sachen Farbe und Essen?
- Eber sind auch nur arme Schweine: Mit Salami gegen Ferkelkastration
- Schwarzer Sesamkuchen nach Surdham Göb
Es ist so interessant, wie irgendwie alle Sinne beim Essen beteiligt sind. Ich ekele mich inzwischen ziemlich vor Speisefarbe. Letztens wurde mir ein Kuchen mit giftgrüner Glasur angeboten. Es kostete ziemliche Überwindung und fühlte sich „falsch“ an, dass sie dann nur wie gewöhnliche Zuckerglasur schmeckte…
Als Vegetarierin habe ich auch bemerkt, dass ich es (komischerweise) teilweise nicht mag, wenn eine Alternative (Würstchen etc.) dem Original zu nahe kommt. Erinnert mich dann zu sehr an Fleisch.
(Außerdem bin ich gespannt auf ein Rezept für Sesamkuchen, da meine Versuche, mit Sesam zu backen, bisher noch nicht von Erfolg gekrönt wurden. :))
Spannend, Sab – richtigen Ekel vor Speisefarbe konnte ich bei mir noch nicht feststellen (ich habe sogar todesmutig den Wein getrunken, in den ich heute zu Fotozwecken Speisefarbe hineingekippt hatte). Allerdings finde ich sie in der Regel nicht notwendig – meine Restchen davon stammen von 1996. ;-)
Das Rezept kommt Freitag!
Mein Mann mag kein Sushi. Als er es das erste Mal probiert hat, hat er das Grüne außenrum für Spinat gehalten. Das wars.
So extrem ist es bei mir nicht, aber sowas wie Schlumpfeis oder Papageie kuchen…..nö……lieber nicht.
Du liebe Zeit – den Papageienkuchen musste ich jetzt erst mal ergoogeln. Der hätte ja auch gut auf die „schrille“ Party von damals gepasst!
Diese Art von Kuchen kriegst Du heutzutage auf jedem Kindergartenfest. Komisch eigentlich, dass Kinder vor dieser Farborgie nicht zurückschrecken, aber gleichzeitig alles, was grün ist zurückweisen.
Na ja, natürliches Grün ist ja was gaaaanz anderes! Da besteht schließlich immer die Gefahr, dass jemand versucht, einem womöglich Gemüse unterzujubeln. ;-)
Sehr gut geschrieben! Hätte nie gedacht, dass man Sesam nicht eindeutig erschmecken kann.
Eigene Erlebnisse? Klar, en masse. Früher beim Weinhaus Koch in Kiel, Blindverkostung nach etlichen Seminaren, Vorher hatte ich noch gelästert, dass ich einen Rioja schon auf 100km Entfernung am Geruch erkennen würde. 10 Rotweine galt es zuzuordnen. Ich glaube, dem Erfahrensten Weinkenner sind drei Treffer geglückt – mir keiner. ;-)
Und ansosnten. Ja. Die Optik ist mir sehr wichtig. Grau hast du bei den problematischen Farben vergessen. Mein Rhabarberpüree in der letzten Torte war so. Sieht halt so aus, wenn’s gekocht wird, aber so richtig schön fand ich das nicht, obwohl die Torte tadellos schmeckte. Schon verrückt…
Danke! :-) Stimmt, Grau – das erinnert mich doch gleich wieder an die Kreationen aus dem „Depressed Cake Shop“: http://depressedcakeshop.com/photos/
Aber mit dem grauen Rhabarberpüree meinst Du jetzt nicht das in der Bayadère, oder? Das sieht nämlich toll aus, finde ich.
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Ich finde die besten Äpfel sind rau, leicht fleckig und haben eine Art Streifenmuster von Stiel aus. Grüne schmecken oft wirklich schrecklich, außer Kornäpfel (die auch solche Streifen haben) das ist aber keine Psychologie, sondern ein echtes Erkennungsmerkmal.
Und saure Tenken schmecken mir besser als süße, weil die süßen IMMER vermadet sind