Weinbuch für solche wie mich: Crashkurs Essen & Wein
Wein ist für mich so ein „ich müsste mal“. Ich müsste mir mal mehr dazu anlesen (da gibt’s aber auch noch eine Menge anderer Themen), ich müsste mich mal mehr durchprobieren (aber für ausgedehnte Versuchsreihen trinken wir insgesamt zu wenig Alkohol und schütten nicht selten übrige Drittelflaschen nach Wochen weg), ich müsste mal mehr Weinproben mitmachen (aber irgendwie kollidieren die Termine immer mit anderen Plänen). Doch, doch, ich mag Wein, das schon! Und ganz egal ist es mir auch nicht, was ich im Glas habe. Deshalb stiefle ich regelmäßig in den Weinladen meines Vertrauens, erkläre, was ich für Kochpläne habe, und lasse mir dazu einen passenden Wein empfehlen. Bisher hat das gut geklappt.
Aber dann flatterte mir neulich eine Einladung zur Vorstellung des Buchs Crashkurs Essen & Wein* von Gerd Rindchen und Gotthard Scholz ins Haus, und ich dachte: Gehste mal hin. Schließlich müsstest du mal … Siehe oben. Also ging ich hin. Und sah mich auf einmal, ohne den Weinhändler meines Vertrauens zur Seite zu haben, in der Situation, selbst den passenden Wein zum Essen finden zu müssen. Denn genau darum geht es in dem Weinbuch, das an dem Abend vorgestellt wurde, und wir Gäste waren sozusagen Versuchskaninchen. Oder eher: Demonstrationskaninchen.
Es gab ein köstliches Buffet (halb chinesisch vom Restaurant Ni Hao, halb türkisch bzw. mediterran vom Restaurant Dilara). Aber vor das ungehemmte Genießen hatten die Gastgeber eine fiese kleine Aufgabe gestellt: Jede und jeder bekam erst einen Weißwein, später einen Rotwein ins Glas, sollte ihn zunächst einem Weintyp zuordnen und dann das dazu passende Gericht vom Buffet identifizieren und die Kombination verkosten. Weintyp? Hilfe!
Zum Glück lieferten Gerd Rindchen und Gotthard Scholz, die Gastgeber und Autoren, die Gebrauchsanweisung gleich mit, sodass alle die gewünschen Aha-Effekte auf der eigenen Zunge erleben durften. Außerdem strahlten die beiden so viel Begeisterung für ihr Buch und natürlich für das Thema Wein aus, dass ich den Crashkurs Essen & Wein nicht nur mit nach Hause nahm, sondern tatsächlich auch seitdem gelesen habe. Von vorne bis hinten. Und deshalb kann ich euch hier etwas über ein Weinbuch erzählen, wo es doch auf diesem Blog normalerweise noch nicht einmal Weinempfehlungen gibt!
Crashkurs Essen & Wein ist ein Weinbuch für Menschen wie mich: durchaus genussfreudig, aber nicht von allzu großen Weinkenntnissen belastet. Da es aber für die Weinauswahl zum Essen schon hilfreich ist, als Entscheidungskriterien ein bisschen mehr als „rot“ oder „weiß“ zur Verfügung zu haben (und nein, ein zusätzliches „rosé“ bringt’s da auch nicht), unterteilen die Autoren das große Weinuniversum grob in sechs Typen.
Vom „grünen“ Weißwein („knackig + frisch“) bis zum „dunkelroten“ Rotwein („charakterstark + kräftig“) ist jedem Weintyp eine Farbe zugeordnet, und diese Farben ziehen sich als Leitsystem durch das Buch. Die Illustrationen von Cristóbal Schmal helfen zusätzlich, sich die entsprechenden Weine vorzustellen: Der „orange“ Typ ist durchaus ein bisschen fülliger, besitzt oft einen üppigen Duft und eine gewisse Affinität zu Asien (also: asiatischen Gerichten).
Klischeehaft? Klar, ein bisschen schon. Aber durchaus hilfreich. Und schließlich liefert diese Typeneinteilung nur die Basis für das, was die Autoren in den folgenden Kapiteln über das Verhältnis von Essen und Wein zu sagen haben. Dort erzählen sie nicht nur darüber, welche der Grundgeschmacksrichtungen sich wie zu welchem Weintyp verhalten, sondern dröseln auch die wichtigsten Lebensmittel, Kräuter und Gewürze und die üblichsten Zubereitungsarten sowie jeweils die idealen Weinpartnerschaften auf. Dass sie dann noch die allerwichtigsten Länderküchen der Welt und deren Affinität zu bestimmten Weintypen vorstellen, ist schon fast (fast!) eine Zugabe – schließlich müsste man sich diese Information eigentlich bereits aus den Tipps zu den typischen Zutaten, Gewürzen und Garmethoden herausfiltern können.
Eigentlich. Denn so simpel geht es dann doch nicht zu in der Weinwelt, und je weiter das Thema auf die unbedarften Leser_innen heruntergebrochen wird, desto allgemeiner werden automatisch die Hinweisschilder, die zu bestimmten Essen-und-Wein-Paarungen führen. Vielleicht deswegen enthält das Buch einen 40-seitigen „Praxisteil“ mit Klassikerrezepten von Spargelquiche über Chili con Carne und Nigiri-Sushi bis zu Ossobuco. Bei jedem exerzieren die Autoren konkret durch, was sie zuvor theoretisch ausgeführt haben: wie man aus den Informationen über dominante Zutaten, Geschmacksrichtungen und Garmethoden zu konkreten Weinempfehlungen gelangt. Nachkochen und -trinken ausdrücklich erwünscht!
All das ist überaus vergnüglich zu lesen. Ich hatte die ganze Zeit die beiden Autoren vor Augen, wie sie unterhaltsam und kenntnisreich bei einem Gläschen Wein über ihr Lieblingsthema plaudern – und sich selbst dabei nicht ganz so wichtig nehmen. Wenn sie beispielsweise über Schärfe schreiben:
Das Schärfeempfinden wird harmonisiert durch die Süße im Wein. Man kann es gar nicht drastisch genug formulieren. Probieren Sie einmal – ein einziges Mal – einen halbtrockenen oder sogar lieblichen deutschen Weißwein zu scharfem Essen. Wir versprechen Ihnen: Das Scharfe lässt Sie das Süße gar nicht wahrnehmen. Was bleibt, ist ein einziges Aromenfeuerwerk aus Frucht und feinem Schmerz. Aber da wir befürchten, dass auf uns ohnehin niemand hört, hier zwei Empfehlungen mit größerer Aussicht auf Akzeptanz: Fruchtsüße besitzen auch im Barrique ausgebaute Weine des samtigen rubinroten und des intensiven orangen Typs, die daher beide gut zu scharfen Speisen passen.
Oder über die passende Weinbegleitung zum Grünkohl:
Und dann ist da noch der Grünkohl, der vornehmlich in Gegenden geliebt wird, die sich weit entfernt von jeglichem Weinberg befinden. Wir haben alle Weine der Welt durchprobiert, um endlich mit absoluter Sicherheit diese Empfehlung auszusprechen: Bier und Korn.
Für diesen charmanten Plauderton bieten auch die in den Text eingestreuten Kästen zu den „beliebtesten Weinirrtümern“ und den „goldenen Regeln“ eine Bühne. Gut, manche der Weinirrtümer erkenne sogar ich schon als solche: dass es zum Fisch immer Weißwein sein muss beispielsweise (nein, zu manchen Zubereitungsarten passt ein leichter Roter sogar besser) oder dass Rotwein bei Zimmertemperatur serviert werden sollte (nur bei Leuten, die in kühlen Kellergewölben hausen). Dafür klopfe ich mir dann mal anerkennend auf die Schulter.
Ansonsten räume ich gerne ein, dass sich nicht nur die Weinirrtümer, sondern auch alle anderen Tipps und Hinweise lesen, als wären sie aus der Erfahrung zweier Autoren geboren, die sich viel mit Menschen unterschiedlicher Profiklassen und Kenntnisstände über Wein unterhalten. Was wohl auch stimmt – nicht umsonst ist Gerd Rindchen in Hamburg als Gründer der Weinladenkettte Rindchens Weinkontor wohlbekannt. Kein Wunder also, dass das Buch eine kulinarisch interessierte, aber eher mittelmäßig weingebildete Zielgruppe sehr gut abholt! Und auch wenn ich meine grundsätzliche Kaufstrategie (im Weinladen beraten lassen) nicht verändern werde: Vielleicht werfe ich in Zukunft vorher schon mal einen Blick in dieses Buch und überlege mir, in welche Richtung es weinmäßig gehen könnte. Damit wäre doch schon mal was gewonnen, oder?
Zwei klitzekleine Kritikpunkte habe ich: Zum einen sind die Smiley-Symbole für den rubinroten und den dunkelroten Weintyp im Buch farblich leider kaum auseinanderzuhalten; vor allem dann nicht, wenn man nur eins von beiden sieht und zuordnen soll. Zum anderen hätte ich es schöner gefunden, wenn sich die Covergestaltung im Stil stärker an die Illustrationen im Innenteil angelehnt hätte. So ist das Bild auf dem Umschlag doch arg glatt geraten.
Aber insgesamt: ein sehr schönes Buch – und mein dritter Beitrag zur „Jeden Tag ein Buch“-Woche:
Hinweis: Das Buch wurde mir vom Gräfe und Unzer Verlag als kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt, und ich war außerdem zur zugehörigen Presseveranstaltung eingeladen. Einen Einfluss auf mein Urteil hatte das nicht; dieser Artikel gibt ausschließlich meine persönliche Meinung wieder.
Gerd Rindchen, Gotthard Scholz
Crashkurs Essen & Wein
Hallwag (Gräfe und Unzer Verlag) 2014
160 Seiten, Softcover mit Klappen
Preis: 16,90 €
- Füttern, futtern, hungern: Lionel Shriver, Großer Bruder
- Brotaufstrich des Monats Juni: Zweifache Bohnen-Räuchertofu-Creme
Sehr schöne ausführliche Rezension. Ich bin auch auf den letzten Seiten dieses Buches und bin ähnlich begeistert wie du. Besonders der Tonfall gefiel mir gut, locker, ehrlich und herrlich erfrischend.
Liebe Grüße, Nicole
Ja, oder? Schreibst du auch eine Rezension dazu? Dann bin ich gespannt!