Chinesische Heimwehküche in Deutschland

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Manche Gerichte gehören einfach so selbstverständlich zu unserem Leben, dass wir darüber kaum nachdenken – geschweige denn in uns hineinhorchen, was wir emotional mit ihnen verbinden. Was aber, wenn dieses Selbstverständliche gar nicht mehr selbstverständlich ist? Weil sich die Lebensumstände geändert haben zum Beispiel? In dieser Interviewreihe befrage ich Menschen, die aus dem Land ihrer Kindheit weggezogen sind, nach Essgewohnheiten, Lieblingsgerichten und einem Heimwehgefühl, das sich am Geschmack von früher festmacht. Das erste Interview der Reihe findet sich hier.

Linpei_Porträt_1Linpei Zhu arbeitet als Ingenieurin bei einer Hamburger Halbleiterfirma. Bevor sie im Juli 2012 nach Deutschland kam, war sie bereits zweieinhalb Jahre beim selben Unternehmen in Shanghai beschäftigt gewesen. Aufgewachsen ist sie in der Kleinstadt Shenhou in der Provinz Henan in Zentralchina. Dort werden, anders als in den reisliebenden südlichen Landesteilen, Nudeln und gedämpfte oder gekochte Klöße und Nudeltaschen als Grundnahrungsmittel gegessen. Vor neun Jahren zog Linpei dann nach Shanghai, eine Stadt mit einer sehr lebendigen Gastroszene. Zum Interview trafen wir uns im Café Deike, wo wir in der Sonne saßen und Kuchen aßen – denn das ist eines der Dinge, die sie am deutschen Essen am meisten schätzt. Wir haben das Interview auf Englisch geführt.

Linpei, was macht für dich typisch deutsches Essen aus?

Dass im Winter alle Grünkohl essen und im Frühling Spargel mit Schinken. Natürlich sind Wurst und Schinken typisch für Deutschland, und beide esse ich gerne auf dem Brot – ach ja, und das ist noch etwas, das in Deutschland ganz besonders ist: das Brot. Es ist sehr fest und hat eine so harte Kruste! Von zu Hause bin ich sehr weiches, weißes Brot gewöhnt, das immer ein bisschen gesüßt ist. Am ehesten erinnern mich hier die Berliner daran – die mag ich gerne. Eine Zeit lang habe ich Berliner sogar zum Frühstück gegessen.

Gibt es deutsche Essgewohnheiten, die du übernommen hast?

Das Frühstück finde ich gut. In unserer Firma gibt es eine Tradition: Wenn Kollegen Eltern werden, wetten alle, ob das Neugeborene ein Junge oder ein Mädchen wird. Die Verlierer müssen die Gewinner zum Frühstück einladen. Dann stehen alle möglichen verschiedenen Brötchen auf dem Tisch, manche davon mit Sesam oder sogar Nüsse bestreut. Man bestreicht sie mit Butter und belegt sie, und dafür gibt es jede Menge unterschiedlicher Wurst- und Schinkensorten, Käse und Gemüse wie Tomaten, Gurken und grüne Paprika. Das finde ich wirklich lecker. Das Einzige, was ich nicht esse, ist Nutella. Das ist mir zu süß.

Frühstück in Shanghai sieht total anders aus. Wir essen zu Hause Brei aus verschiedenen Getreidesorten, zum Beispiel aus Reis, außerdem gedämpfte Klöße und verschiedene fermentierte Beilagen. In Hamburg gibt es ein Restaurant, an dem man sonntags authentisch chinesisches Frühstück (oder eher Brunch) bekommen kann: China King. Dafür muss man allerdings reservieren.

Gibt es deutsche Gerichte, die du seltsam oder sogar widerlich findest?

Ich staune immer noch über die Kartoffeln hier. Sie sind so fade! In unserer Kantine werden sie einfach in Wasser gekocht – das ist alles. Entsprechend schmecken sie nach gar nichts. Bei uns zu Hause sind Kartoffeln nie als bloße Sättigungsbeilage gedacht. Sie kommen immer als ein Gericht unter mehreren auf den Tisch und werden genauso würzig zubereitet wie andere Gemüsesorten auch.

Chinese hot and sour potatoes

So sollen Kartoffeln schmecken, findet Linpei: knackig, scharf, säuerlich.

Was ich mich bisher nicht zu probieren getraut habe, ist wirklich intensiver Käse. Ich habe mich an Käsesorten herangewagt, die nicht so lange gereift sind und daher nicht so furchtbar stinken. Aber Käse esse ich, wenn überhaupt, nur wenig.

Gibt es chinesische Lebensmittel, die du hier vermisst und die du dir von Freunden von zu Hause mitbringen lassen würdest, wenn sie zu Besuch kämen?

Es gibt jede Menge Dinge, die ich vermisse. Aber wenn mich Freunde hier besuchen würden, dann würde ich ihnen eher deutsche Spezialitäten zeigen: zum Beispiel Fischbrötchen. Den säuerlichen Geschmack von Bismarckhering fand ich ja zuerst etwas gewöhnungsbedürftig, aber jetzt schmeckt mir das gut.

Gibt es chinesische Gerichte, nach denen du dich sehnst, wenn du Heimweh hast? Und kochst du sie dir dann?

Im Mai habe ich mich so sehr nach chinesischem Feuertopf gesehnt, dass ich extra in ein chinesisches Restaurant gegangen bin, um welchen zu essen. Er war dort ganz okay, nicht ganz so, wie ich ihn von zu Hause her kenne. Aber wenn das Bedürfnis noch einmal wiederkommt, dann gehe ich vermutlich wieder dorthin. Ich habe Feuertopf in meiner Zeit in Chongqing kennengelernt. Die dortige Version ist ziemlich scharf, weil viel Szechuanpfeffer reingehört. Das Gericht brennt im Mund, und man bekommt eine richtig taube Zunge, sodass man dann Sojamilch trinken oder frisches Obst wie Wassermelone essen muss, um den Brand zu löschen. Dieses Nebeneinander von Scharf und Süß ist großartig.

Asiatische Nudeln

Nudeln aus Weizen, Mungbohnen, Süßkartoffeln und Reis gehören in Linpeis Heimat zu den Grundnahrungsmitteln.

Hier in Deutschland koche ich schon, aber in der Regel einfache Sachen wie Nudeln oder Suppen. Meistens bin ich zu faul, um für jede Packung Nudeln in einen asiatischen Supermarkt zu gehen. Deshalb kaufe ich im normalen Supermarkt oft einfach italienische Pasta, besonders die langen Nudeln (Spaghetti). Aber jetzt habe ich Eiernudeln gefunden, die wie ein Nest zusammengerollt sind (Tagliatelle). Die sind für schnelle Suppen sogar noch besser, weil sie nicht so lange Garzeiten haben.

Mit ein paar chinesischen Freunden, die hier wohnen, habe ich einmal echt chinesische Nudeltaschen gemacht: Wir haben den Teig gemacht, die Füllung zubereitet, die Nudeltaschen ausgerollt und gefüllt. Unsere Füllungen waren Schweinehack und Mais, Schweinehack und Chinakohl und Mais und grüne Paprika.

Wenn du im September nach China zurückkehrst, bringst du dann irgendwelche deutschen Spezialitäten mit?

Na ja, richtig viel werde ich nicht mitnehmen können. Aber bei meinen Heimatbesuchen im vergangenen Jahr habe ich Familie und Freunden Wurst und Schinken mitgebracht. Die Wurst hat besonders meinem Vater geschmeckt. Meine Freunde haben sich eher über die Süßigkeiten gefreut, besonders über die kleinen Fruchtgummis. Natürlich bringe ich auch jedes Mal Schokolade mit.

Außerdem habe ich ein Backbuch gekauft. (Zeigt das Buch.) Ein paar der Rezepte habe ich schon ausprobiert: Schokoladenroulade und Zitronenkuchen. Die waren wirklich lecker! Vielleicht kann ich die dann auch zu Hause backen.

Vielen Dank, Linpei!

Wir haben uns ein paar Tage nach dem Interview noch einmal zum interkulturellen Kochaustausch getroffen, und Linpei hat uns ein Rezept für Kartoffeln gezeigt, wie sie ihrer Meinung nach schmecken müssen. Was sehr fein war (auch wenn ich schlichte Pellkartoffeln nach wie vor zu schätzen weiß) – das Rezept gibt es in ein paar Tagen hier im Blog!

Interview: English version


We tend to take much of our everyday food for granted. We don’t think about most of the things we eat, much less try to get to the bottom of what they mean to us emotionally. They are a seemingly natural part of our lives. But what if we suddenly find ourselves somewhere else and don’t have access to the same food as before? In this series of interviews I ask Germans living abroad and people from abroad living in Germany about their food habits old and new, their favourite dishes and food-related homesickness. Click here for the first interview in this series (in German only).

Linpei Zhu works as an engineer at a semiconductor company in Hamburg. Before she came to Germany in July 2012, she had worked at the Shanghai branch of the same company for two and a half years. She grew up in the small town of Shenhou in Central China’s Henan province, where noodles, steamed buns and dumplings are the staple foods, not the rice popular in the southern provinces. Nine years ago she moved to Shanghai, a city with a vibrant food scene. For the interview we met at a café, sitting in the sun and enjoying Kuchen (cake) – one of the foods she particularly likes in Germany. (Linpei used some German words in her answers. I have given the translations in brackets.)

Linpei, what kinds of food do you consider typically German?

In winter, everybody eats Grünkohl (kale). And in May, everybody eats lots of Spargel (asparagus) with Schinken (ham).

Of course, Wurst (sausage) and Schinken (ham) are typical German foods. And I really like to eat them on bread – oh yes, and that’s another thing that’s a bit special in Germany: the bread. It isn’t very soft, and it has a very hard crust. Very different from the bread I was used to, which is very soft, white and a little sweet, rather more similar to a German Berliner (a kind of jam-filled doughnut). I like Berliner. For a time I even ate them for breakfast.

Have you adopted any German food habits?

Well, I like German breakfast. At work we have a tradition that whenever a new baby is due, all colleagues lay bets on whether it’s going to be a boy or a girl. The losers have to invite the winners for breakfast. Then we have all kinds of Brötchen (rolls) on the table, some of them with sesame or even nuts. You spread butter on them, and then there are lots of different kinds of Wurst and Schinken and cheese and vegetables like tomatoes, cucumbers and green peppers to place on top of the buttered Brötchen. That’s something I really enjoy. The only thing I don’t eat is Nutella. That’s too sweet for me.

A Shanghai breakfast is totally different. At home we eat different kinds of porridge like rice porridge, steamed buns and a small number of fermented dishes in the morning. There is a place in Hamburg where you can get authentic Chinese breakfast or rather brunch on Sundays: China King. But make sure to book a table in advance.

Are there any German foods you find strange or even off-putting?

I’m still a little puzzled about the potatoes here. They are so bland! In our Kantine (cafeteria) they are simply boiled in water, and that’s it. They don’t have any taste at all. At home potatoes are never meant to just fill you up. They are usually one of several dishes and are prepared to be tasty, just like other vegetables.

One thing I haven’t dared to taste yet is strong cheese. I have tried cheeses that aren’t as heavily fermented and don’t smell so awful. But I only eat cheese in very small quantities.

Are there any Chinese foods you miss – anything you would ask friends to bring with them if they came to visit you here?

There are many foods I miss. But if friends came to visit, I’d rather get them to try some German foods, like Fischbrötchen (rolls filled with fish). At first I found the sour taste of the Bismarckhering (pickled herring) surprising, but now I like it.

When you feel homesick, do you long for certain dishes from home? And do you then cook them?

In May I longed for Chinese hot pot so much that I went to a Chinese restaurant just to have it. It was okay, not exactly like the dish I know from home. But if the longing returned I’d probably go there again to order Chinese hot pot. I started to eat and like hot pot when I lived at Chongqing. The local version of this dishis very spicy from Sichuan pepper. It makes your tongue burn and go numb, so you have to drink soya milk or eat some fruit (water melon for example) alongside. This mixture of strong and sweet tastes is awesome.

Spicy sichuan pepper makes your tongue tingle.

Spicy sichuan pepper makes your tongue tingle.

I do cook here myself, but mostly simple dishes like noodles and soups. As I’m too lazy to go to an Asian supermarket for every pack of noodles I need, I mostly buy Italian pasta at my local supermarket, usually the long kind (spaghetti). But I have found egg noodles curled up like a nest (tagliatelle) that I find even better for quick soups because they don’t take so long to cook.

Once I cooked real Chinese dumplings with a few Chinese friends who live here: we made the dough, we prepared the filling, we rolled and filled the dumplings and we boiled them. We had fillings with minced pork and corn, minced pork and Chinese cabbage and corn and green pepper.

When you return to China in September, will you take any German specialty foods back?

Well, I won’t be able to take much. But when I came home for short visits during the last year, I took Wurst and Schinken for my friends and family. My father liked the Wurst. And my friends liked the sweets, particularly the small rubber-like fruit jellies. I always take chocolate as well, of course.

I have also bought a cookbook with cake recipes. (She shows the cookbook.) I have even tried some of them: Schokoladenroulade (chocolate roulade) and Zitronenkuchen (lemon cake). I like them very much! So maybe I can make them at home, too.

Thank you for the interview, Linpei!

4 Gedanken zu “Chinesische Heimwehküche in Deutschland

  1. Eva

    Es ist wirklich lustig dass Dinge sich völlig unabhängig voneinander zeitgleich ereignen. Tring (ettringkocht) hat heute das Kartoffelrezept, dass du angekündigt hast, gepostet. :-)
    Danke für das ausführliche Interview. Wie schaffst du es bloß, ständig soo lange Texte zu schreiben. ich quäle mich mit meinen 500 Wörtern manchmal schon sehr… du schreibst gut!

  2. Sabine Schlimm Artikel Autor

    Was für ein lustiger Zufall, indeed! Danke, Eva, für den Tipp – ich habe mir erlaubt, den Blogbeitrag in Deinem Kommentar zu verlinken. Und danke auch für das Lob zu den Texten, das freut mich sehr! Tja, das mit der Textlänge ist so ’ne Sache: Hier war sie nun gewissermaßen vorgegeben (und das Interview war eigentlich noch viel, viel länger!). Aber sonst geraten die Texte oft eher unfreiwillig so lang. Deshalb habe ich mir jetzt ein Trainingsprogramm „Kurze Blogpostings schreiben“ verordnet. ;-) Bin mal gespannt, ob ich’s lerne …

    1. Eva

      Vielleicht sollten wir uns gegenseitig unterstützen, du gibst mir Länge ab und ich dir Kürze. ;-) Unter meinen Deutschaufsätzen stand früher oft, „interessanter Gedanke, bitte ausführen.“ Und mich hat das immer genervt, weil mir alles klar war…

  3. Pingback: Feurig statt langweilig: Chinesische scharf-saure Kartoffeln | Schmeckt nach mehr

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