Gefühlter Geschmack: Und Bio ist doch besser
Diese Situation erlebe ich immer wieder: Das Gespräch kommt aufs Essen (was angesichts meines Berufs nicht besonders selten geschieht), der Begriff Bio fällt, und mein Gegenüber beugt sich vor, um mir zuzuraunen: „Ich habe da übrigens neulich was im Fernsehen gesehen/in der Zeitung gelesen/im Radio gehört, da dachte ich, das muss ich dir unbedingt erzählen. Da haben sie so’n Test gemacht und Leuten Lebensmittel in Bio und in Nicht-Bio gegeben, aber die konnten das gar nicht unterscheiden. Bio schmeckt nämlich gar nicht besser.“ Befriedigtes Zurücklehnen, erwartungsvoller Gesichtsausdruck.
Was soll ich dazu sagen? „Ach so ‒ also, wenn das so ist, dann kaufen wir ab jetzt beim Discounter und stecken das gesparte Geld lieber in einen SUV“? Nach kurzem Schweigen erkläre ich dann immer, dass ich Bio nicht kaufe, weil es angeblich besser schmeckt. Sondern weil ich glaube, dass es im Durchschnitt besser für Umwelt und Tiere ist als Nicht-Bio. (Dass Bio nicht gleich Bio ist, darüber können wir an anderer Stelle mal diskutieren, bitte.)
Geht es wirklich um den Geschmack?
Insgeheim bin ich natürlich trotzdem davon überzeugt, dass die Möhre besser schmeckt, wenn sie ohne Mineraldünger gewachsen ist, und das Fleisch, wenn es von Tieren stammt, die Platz zum Rumlaufen hatten und ihre Muskeln bewegen durften. (Wobei mir da, ehrlich gesagt, schon lange der Vergleich zu Fleisch aus Turbomast fehlt.)
Damit, dass mir Bio besser schmeckt, bin ich keineswegs alleine: Eine Studie der Cornell University fand heraus, dass sich die Geschmackswahrnehmung tatsächlich durch ein Bio-Siegel täuschen lässt. Joghurt und Chips, die den Testpersonen als Bio angepriesen wurden, schmeckten ihnen besser als die gleichen Lebensmittel in der vermeintlichen Nicht-Bio-Version (die aber tatsächlich ebenfalls Bio waren). Nur bei den Keksen zeigte sich der umgekehrte Effekt: Offenbar erwartet man sich von Bio-Keksen keinen besonderen Genuss.
Der health halo effect: Lebensmittel mit Heiligenschein
Das Ganze nennt sich „health halo effect“ ‒ ein Lebensmittel bekommt also quasi durch das Bio-Siegel eine Art Heiligenschein, und den Glauben „das ist gesünder“ (wie irrational auch immer) übersetzt das Gehirn in „das schmeckt leckerer“.
Ich bin mir sicher, dass es einen ganz ähnlichen „sustainability halo effect“ gibt, der denjenigen besseren Geschmack vorgaukelt, die der Überzeugung sind, Bio wäre besser für die Umwelt. Der Effekt schlägt bei mir sicher voll durch. Und deshalb werde ich demnächst, wenn ich mal wieder mit einem „Bio schmeckt nämlich gar nicht wirklich besser!“ konfrontiert werde, einfach antworten: „Mir schon!“ Geschmack ist schließlich eine vollkommen subjektive Empfindung.
Wie ist das bei Euch? Schmeckt Euch Bio besser? Oder gerade nicht?
- Was nach dem Auspressen übrig blieb: Salzorangen(-schalen)
- Ofenfenchel mit Orangen-Oliven-Gremolata
Aha, das Gehirn signalisiert also „lecker“, wenn etwas mit „gesund, weil Bio“ angepriesen wird? Bei meinen Kindern konnte ich den umgekehrten Effekt beobachten. Was als gesund angepriesen wurde, war keineswegs leckerer, sondern sozusagen langweiliges Pflichtessen. „Süß“ dagegen war lecker und/weil ungesund. Diese Gehirnfunktion scheint sich bei der Beurteilung von Biokeksen erhalten zu haben…..
Vielleicht schmeckt man nicht immer die Biovariante raus (obwohl, wenn ich da an Tomaten denke…..), aber ich glaube, dass hier einige weitere Gehirnwindungen beteiligt sind, wenn wir „Bio“ mit „besser schmecken“ zusammenbringen – nämlich das gute Gewissen. Ist ja auch sonst ein gutes Ruhekissen, wie der Volksmund weiß. Ein gutes Gewissen ist ein positiver Geschmacksverstärker.
Na ja, damit der Gesund-schmeckt-besser-Effekt funktioniert, muss man natürlich glauben, dass gesund = besser ist. Das ist bei Kindern (zumindest jüngeren) noch nicht der Fall, weil sie sich die langfristigen Folgen gesunder bzw. ungesunder Ernährung nicht wirklich vorstellen können. Die Vorliebe für Süßes ist dagegen angeboren.
Und ja, man kann den von mir so benannten „sustainability halo effect“ auch einfach gutes Gewissen nennen. Mit diesem „Etikett“ habe ich den Artikel ja auch verschlagwortet. ;-)
Ich bin schon der Meinung, dass Biogemüse und -obst oft aromatischer schmeckt als mit viel Dünger hochgezüchtetes. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch wunderbar aromatisches konventionell angebautes regionales Gemüse gibt, das besser sein kann als Bio das von weit hergekarrt wurde. Kommt eben immer darauf an was man vergleicht. Biobauern haben oft auch andere Sorten, die mir z.B. bei den Äpfeln besser schmecken als der typische Gala oder Granny Smith vom Supermarkt. Ich glaube es ist aber auch viel Gewohnheit. Ich mag künstliche Fruchtaromen im Joghurt überhaupt nicht mehr, aber wer nur das gewohnt ist wird einen Biojoghurt ohne zugesetztes Aroma vermutlich geschmacklos finden.
O ja, das ist definitiv auch ein Geschmacksvorteil: die Vielfalt. Oft (aber nicht immer) sind es ja tatsächlich die Bioleute, die sich um die Erhaltung alter Obst- und Gemüsesorten oder Nutztierrassen kümmern. Danke für die Ergänzung, Melanie!
Hmm. Also, ich habe schon sehr leckeres Biogemüse und -obst gegessen, aber mindestens genauso oft war ich auch enttäuscht vom Geschmack der Bioprodukte. Vermutlich ebenso oft wie bei Nicht-Bio-Produkten … Egal ob Supermarkt-Bio oder Bauernhof-aus-der-Region-Bio, manchmal war’s einfach fad. Im Moment kaufe ich sehr gern wieder regionale Äpfel, ob Bio oder nicht, weil ich das besser finde als Bio-Äpfel aus Neuseeland. Und leckerer (über die Gründe kann man spekulieren: objektiv leckerer, frischer, vertrauter, bessere Sorten usw.).
Stimmt, nicht alles ist eine Offenbarung, nur weil Bio draufsteht. Und im Moment schmeckt vermutlich fast jeder frisch geerntete Apfel besser als der tollste total biologisch im Kühlhaus gelagerte im April.
Ich gebe zu bedenken, dass der Markt für Bioerzeugnisse in Deutschlang boomt und irgendwo müssen die Massen auch Sachen auch erzeugt werden. Natürlich auch in Monokultur, anders ist es gar nicht möglich. Natürlich werden die Biokulturen nicht „künstlich“ gedüngt oder gespritzt, aber manche „natürlichen“ Dünger und Gifte sind auch nicht ohne un der Artenvielfalt dienten Monokulturen noch nie…
Keine Frage, dass Bio nicht gleich Bio ist, Eva! Man müsste eigentlich bei jedem Lebensmittel ganz genau auf Anbau- und Herkunftsbedingungen schauen, und selbst wenn das ginge, wäre Abwägen manchmal schwer. Für mich ist ein Bio-Siegel auch Komplexitätsreduktion: Da greife ich hin, weil ich darauf hoffe, damit im großen Durchschnitt was richtig zu machen. Dass mir Bio (oft) besser schmeckt, ist eben komplett irrational. Siehe oben.
Meist schmeckt mir Bio besser als nicht-Bio.. Allerdings ist mir bei Tieren ein freilaufendes, „glückliches“ Schwein, das nicht Bio-zertifiziert ist, viel lieber als ein Bio-Huhn, das zwar Bio gefüttert wird, aber ansonsten nur wenig mehr Platz hat, als ein „normales“ Huhn. Also, wichtiger als Bio ist mir, dass es den Tieren gut geht, auch wenn der Betrieb nicht Bio-zertifiziert ist.
O ja, gewisse Haltungsbedingungen – ob Bio oder nicht – können einem sowieso den Appetit verderben. Danke für die Ergänzung!
Dazu hatte ich in England mal ein interessantes Erlebnis in einer kleinen Metzgerei mitten in der Metropole London. Das Schweinefleisch dort kam von einer kleinen Farm, war eben nicht „Bio“, aber der Metzger hat sich Zeit genommen, mir zu erklären, warum nicht und was dahinter steckt (in diesem Fall haben die Schweine bestimmte Impfungen bekommen, die sie laut britischer Biorichtlinien nicht hätten haben dürfen, und in Krankheitsfällen (!) auch Antibiotika). Das habe ich dann auch lieber gekauft als irgendeinen „organic bacon“ vom Supermarkt.
Ich finde die Bio- nicht Bio-Frage immer schwierig, denn Bio-Produkte mit z.B. langen Transportwegen sind für mich nicht das Wahre. Wir versuchen uns in erster Linie regional und saisonal zu ernähren. Von Mai bis November decken wir fast unseren gesamten Gemüsebedarf durch eigenen Anbau. Wir leben zwar in der Stadt, haben aber die Möglichkeit einen so genannten selbst-ernte Garten zu „bewirtschaften“: http://www.meine-ernte.de/l. Und mit unserem selbst gezogenen und geernteten Gemüse kann nichts mithalten, egal ob Bio oder nicht. ;) Da folgt eine Geschmackoffenbarung der anderen. Im Winter und bis Mai, wenn wir nicht selber ernten können, kaufen wir in erster Linie bevorzugt aus der Region, gerne von den Bauern aus unserer Umgebung, auch wenn die vielleicht kein Bio-Zertifikat haben. Mir ist ein konventioneller Kohlkopf der ein paar Kilometer von mir entfernt gewachsen ist lieber, als die Bio-Möhre, die aus Ägypten hergekarrt wird. Tierische Erzeignisse aller Art kaufen wir aber grundsätzlich nur von Bio-Erzeugern und ein EU-Siegel reicht mir da nicht. Ist zwar um einges teurer als aus dem Supermarkt, aber schmeckt besser, allein weil ich nicht an zusammengepferchte Käfighühner denken muss und ich finde das kann man ausgleichen, in dem man seinen Konsum etwas reduziert. Wir essen maximal 2x die Woche Fleisch. Im Sommer noch seltener. Und uns fehlt es nicht. Lieber Qualität als Quantität.
Danke für den Bericht, Anna! O ja, dass selbst angebautes Gemüse am allerbesten schmeckt, das kann ich mir gut vorstellen. Unser Balkon hat dieses Jahr immerhin um die 20 Zuckerschoten hergegeben, die wir mit Ehrfurcht verzehrt haben.
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