Berliner Stadtpicknick mit Stadt macht satt
Ein Picknick in einem wunderschönen und halb vergessenen Park in Berlin, bei dem aufgetischt werden soll, was die Stadt an Essbarem zu bieten hat? Als Anja Fiedler von Stadt macht satt mich fragte, ob ich Lust hätte, dabei mitzumachen, habe ich spontan Ja gesagt. Nicht nur, weil Anja eine ganz alte Freundin von mir ist, sondern auch, weil ich große Lust hatte, mal ganz praktisch in ihr Herzensprojekt hineinzuschnuppern.
Seit inzwischen vier Jahren zeigt Anja mit Stadt macht satt den Berlinerinnen und Berlinern (allen voran Schulklassen), was es in ihrer Stadt alles an vergessenen, übersehenen oder achtlos fortgeworfenen Lebensmittelschätzen gibt. Sie sammelt Wildes aus der Stadtnatur, bereitet mit Schülerinnen und Schülern aus aussortiertem Supermarktobst und -gemüse Leckeres zu, pflanzt Salat und Kräuter an Bauzäunen und pflückt mit dem Zweitprojekt Apfelschätze ungeerntete Äpfel (nebenbei pflegt sie auch die Bäume, alles in Absprache mit den Eigentümern). Wer Näheres darüber wissen möchte: Im April hat Anja bei TEDx Hamburg davon erzählt. Das Video gibt es hier (auf Englisch).
Das alles tut sie aus der Überzeugung heraus, dass gutes Essen ein bisschen glücklich machen kann und dass es darum sinnvoll ist, Wertschätzung für Lebensmittel zu vermitteln. Genau mein Reden also! Das wollten wir auch den Gästen des Stadtpicknicks vermitteln. Mit dabei war außerdem Wildkräuterpädagoge Stefan Ludwig.
Aber bevor wir am Sonntag am Picknickplatz mit ihm zusammentrafen, hatten wir einiges an Vorbereitung zu erledigen.
Kochen mit Lebensmittelschätzen aus der Stadt lässt sich kaum planen. Oft ergeben sich die Gerichte aus Zufallsfunden. Wir hatten das Glück, auf dem Sophienfriedhof wunderbar jungen Sauerampfer zu finden. Wer Wildkräuter in der Stadt sammeln möchte, hat auf Friedhöfen die besten Karten: Hunde dürfen dort nicht frei herumlaufen, und die hohen Mauern halten die Feinstaubbelastung gering.
Der Supermarkt, bei dem Anja aussortiertes Obst und Gemüse für ihre Projekte abholen darf, hatte eine ganze Kiste Spargel „übrig“. Also kombinierten wir die beiden Zutaten zu Spargelsalat mit Sauerampferdressing.
Wir haben den Spargel geschält, in Stücke geschnitten, ca. 3 Min. in kochendem Salzwasser gekocht, sofort kalt abgeschreckt. Für das Dressing haben wir 1 Handvoll Sauerampfer mit neutral schmeckendem Öl püriert, gesalzen und unter den Spargel gehoben. Was wir dabei allerdings gelernt haben: Diesen Salat sollte man frisch machen. Nach einer Nacht hatte sich die wunderbar erfrischende Säure des Sauerampfers schlicht und ergreifend verflüchtigt. Aber frisch war der Salat großartig!
Gefunden haben wir auf dem Friedhof außerdem Spitzwegerichknospen. Seit ich bei Antje Radcke und bei Kochpoetin Eva davon gelesen habe, wie toll trüffelähnlich die eingelegten Knospen schmecken, will ich das unbedingt ausprobieren.
Für das Picknick kam der Fund zu knapp; die in Öl eingelegten Knospen müssen ein paar Tage durchziehen. Aber ich konnte mich davon überzeugen, dass auch die frischen Knospen eindeutig nach Champignons schmecken.
In der Küche waren wir hauptsächlich damit beschäftigt, das vom Supermarkt aussortierte Obst und Gemüse zu verarbeiten. Darunter: vier große Köpfe Blumenkohl, nur an einigen Stellen an der Oberfläche leicht bräunlich verfärbt, aber noch keineswegs alt und gummiartig.
Zusammen mit ebenfalls aussortierten Möhren legten wir Mixed Pickles ein. Am Rezept werde ich noch ein wenig schrauben, das war mir nicht säuerlich genug – und idealerweise hätten die Pickles auch noch ein paar Tage Zeit zum Durchziehen gehabt. Aber sie schmeckten auch so, und der Blumenkohl war verarbeitet.
Einen Teil des Blumenkohls habe ich zu einem Aufstrich verarbeitet (im oberen Bild links). Aus früheren Supermarktrettungszitronen hatte Anja nämlich ein Glas selbst eingelegter Salzzitronen im Vorrat. Die kamen mir da sehr gelegen: Blumenkohl gedämpft und püriert, Salzzitronen fein gehackt, alles mit etwas saurer Sahne gemischt (eigentlich nur wegen der Farbe: Blumenkohl hat sonst so leicht einen gräulichen Schimmer), mit Salz und Pfeffer abgeschmeckt und mit Johannisbrotkernmehl leicht angedickt. Den Brotaufstrich, der so spontan entstanden ist, werde ich definitiv wieder machen!
Ein zweiter Aufstrich kombinierte wiederum zwei Supermarktreste: rote Paprikaschoten und Aprikosen. Beides habe ich zu einer Muhammara-ähnlichen Paste verarbeitet: Paprika geröstet und gehäutet, die Aprikosen in der Restwärme des Ofens etwas gebacken, um den Geschmack zu konzentrieren (sie waren sehr wässrig), beides püriert, mit gemahlenen Mandeln und reichlich Semmelbröseln (aus „gerettetem“ Altbrot) vermischt und mit Cumin, Paprikapulver und einer Prise Zimt abgeschmeckt. Schön fruchtig!
Und dann war Sonntag, und wir haben uns mit Gläsern und Dosen, Flaschen und Taschen und Anjas tollem Picknicktischmobil aufgemacht in den Botanischen Volkspark Pankow.
Dort trafen wir auf Stefan Ludwig. Nachdem wir gemeinsam die Tafel aufgebaut hatten, entführte er die angemeldeten Teilnehmer_innen zu einer Kräuterwanderung mit anschließender Kräuterbutterzubereitung:
Das gab mir die Gelegenheit, mich kurz in dem Park umzuschauen: ein wunderschönes Gelände, teils wild, teils angelegt:
Und landwirtschaftliche Flächen gibt es auch.
Zurück beim Picknicktisch, staunten inzwischen lauter wiss- und essbegierige Besucher_innen über die Schätze, die dort zusammengekommen waren.
Zu trinken gab es Tannenspitzen-, Holunderblüten- und Waldmeistersirup aus der Stadtnatur, aufgegossen mit Wasser.
Die Berliner Tannen hatten einiges zum Picknick beigesteuert: Anja hatte im Frühjahr junge Triebe eingelegt und Tannenspitzensenf hergestellt.
Beides gab es auf Käsewürfeln zu verkosten – einer der wenigen gekauften Picknickbestandteile.
Staunend ließen sich die Teilnehmer_innen erklären, dass man Gojibeeren nicht nur im Bioladen kaufen, sondern auch im Dezember und Januar wild direkt in Berlin sammeln kann – am Landwehrkanal beispielsweise.
Beim Picknick selbst habe ich nicht mehr fotografiert; ein paar Bilder mit Menschen gibt es auf der Facebookseite von Stadt macht satt. Die Stimmung müsst ihr euch daher vorstellen: jede Menge gute Laune mit viel „Ah!“, „Oh!“ und „Hmm!“. Und großes Staunen darüber, was eine Stadt wie Berlin tatsächlich an Lebensmitteln bietet.
Man muss nur genau hinschauen.
Wie ist das bei euch? Findet ihr Essbares an Orten, wo man es nicht vermuten würde?
- Interview: Brasilianisch-deutsche Heimwehküche
- Strandpicknickzeit! Würzige Köfte mit Erbsen-Bohnen-Salat
Wow – ein wirklich spannendes Projekt! Sehr, sehr toll. Ich hab‘ mich bisher nur kurz auf der „Stadt macht satt“-Homepage umgeschaut, aber es ist deutlich zu spüren, dass da jede Menge Herzblut drin steckt. Ich werde das mal im Blick behalten – danke für die Impressionen!
Danke, Barbara! Ja, da steckt nicht nur Herzblut drin, sondern auch jede Menge Zeit, Energie und auch Geld.
Ich kann mich Barbara nur anschließen, echt eine gute Sache!
Na und dass ich passionierte „Sammelerin“ bin, weißt du ja. Demnächst gibt’s Mädesüß, daraus kann man köstlichen Sirup machen.
Liebe Grüße,
Eva
Oh, auf das Mädesüß-Rezept bin ich ja gespannt!
Wow, tolle Idee für ein Picknick – tolles Gesamtprojekt und schönes Blog!
Danke schön!
Es klingt ganz toll aus!
Liebe Grüsse aus grünen Reinickendorf
Nesrin
War auch schön. :-) Grüße zurück ins sommerliche Berlin!
Das ist ja ein super Tolles Projekt, wäre schön wenn es sowas auch bei uns geben würde, da könnten die Kinder von heute noch etwas lernen. Besonders in dieser Wegwerfgesellschaft, sodass alles viel viel mehr geachtet wird. Klasse Projekt, ich werde mal etwas auf der Homepage schnökern gehen.
Achja ich schnöker gerade durch alle Teilnehmerblogs…Ich freue mich schon so auf das FoodBloggerCamp Berlin und darauf euch anderen Foodblogger kennen zulernen und sich aus zu tauschen *aufgeregt ist* Wir sehen uns…
Liebe Grüße
melonpan
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