Abwarten und Glück trinken
Wann kam eigentlich die Vorstellung auf, man müsse nur einen kleinen Papierbeutel mit mehr oder weniger stark duftendem Pflanzenstaub in kochendes Wasser hängen und kurz abwarten, um dann die Lösung sämtlicher Probleme schluckweise zu sich nehmen zu können? Glück, Gelassenheit und innerer Friede, dreimal täglich innerlich und möglichst heiß anzuwenden.
Als ich anfing, Kräutertees zu trinken, legte ich schlicht „Pfefferminztee“ oder „Haustee“ in meinen Einkaufskorb. Höhepunkt kreativer Benamsung war der „Schietwettertee“, den es in hübsch blau-weißer Tüte in diversen Teeläden gab und der sich als eine Art norddeutsch-folkloristisches Kuriosum großer Beliebtheit erfreute. Vielleicht war das der Anfang. Vielleicht zeigte das Beispiel des bis auf seinen Namen unspektakulären Schietwettertees den Kräutertee-Produzenten: „Da geht doch was!“ Plötzlich wurde deutlich, was dieses eher als langweilig geltende Lebensmittel, dem außerdem der Muff von lange nicht gespülten Jugendherbergsblechkannen und staubigen Bioladen-Holzregalen anhaftete, trotz allem besaß: emotionales Potenzial.
Es fing schleichend an. Mischungen, in denen Hopfen oder Melisse enthalten war, hießen auf einmal „Abendtraum“ oder „Abendfrieden“, solche mit Minze oder Zitronengras „Guten-Morgen-Tee“. Heute gibt es nicht mehr nur Tees für unterschiedliche Tageszeiten, sondern sogar für jede Stimmungslage: „Gute-Laune-Tee“, „Herzangelegenheiten-Tee“, „Lebensfreude-Tee“, „Momente der Stille“, „Muntermacher“ und ‒ bei besonders unklarer Befindlichkeit ‒ „Alles-wieder-gut-Tee“. Wer sich als Erdtyp betrachtet, findet seinen Tee („Fester Halt“) genau wie der Feuertyp („Starker Wille“), und „Sternentanz-Tee“ und „Elfentraum-Tee“ kümmern sich offenbar sogar um das Wohlbefinden über- und außerirdischer Wesen.
Die Teebranche hat es geschafft, ihr simples Produkt nicht nur zum verschenkfähigen Zuneigungsbeweis zu machen („Alles-Liebe-Tee“, „Geburtstagstee“), sondern es zudem mit allen möglichen Heilsversprechen aufzuladen. Und das mit Erfolg. Sogar bei mir klappt der uralte Werbetrick der Emotionalisierung, diese Suggestion: „Ja, dieses Produkt meint genau dich!“ Dann stehe ich vor dem Teeregal und denke: „Hol-dir-Schwung-Tee? Genau das, was ich jetzt brauche!“
Geht es allerdings zu weit, fühle ich mich dann doch verschaukelt. Wer mir beispielsweise einen Früchtetee mit ein paar Aromastoffen als „Frechen Flirt“ verkaufen möchte oder eine beliebige Kräutermischung als „Zaubertrunk“, der schlägt mich damit als Kundin in die Flucht und sorgt dafür, dass ich zum guten, alten Haustee oder dem ohne jede Gefühlsduselei benannten „Everstaler Nr. 23“ zurückkehre.
Den größten Teil des Tages trinke ich ohnehin Schwarz- oder Grüntee, und der ist interessanterweise bisher von solchen Emotionalisierungswellen größtenteils verschont geblieben. Da wird immer noch fleißig mit nüchternen Qualitätsbezeichnungen wie FTGFOP gearbeitet; höchstens fällt mal ein Teegartenname etwas blumiger aus ‒ „Happy Valley“ etwa.
Mir ist das sehr recht. Denn auch wenn ich eine gewisse Anfälligkeit für diese Manipulationen der Werbung feststelle: Eigentlich finde ich, es reicht mal. Wenn es beim Essen (und Trinken) irgendwann nur noch um Gefühlsduselei geht, dann ist das meines Erachtens kein Zeichen dafür, dass wir die „Quelle des Glücks“ gefunden haben (auch ein Teename, übrigens). Sondern dafür, dass wir unseren Lebensmitteln verdammt entfremdet sind. Weil sie dazu gedacht sind, Hunger und Durst zu stillen ‒ und nicht etwa Hunger nach Zuneigung oder Durst nach innerer Ruhe. Nicht missverstehen: Ich bin die Letzte, die leugnet, dass Essen und Trinken eine emotionale Seite haben. Aber niemand sollte so tun, als könnte man gute Gefühle in handlichen kleinen Päckchen oder Tütchen kaufen.
Die nächste Emotionalisierungswelle sehe ich übrigens bei Gewürzen heranrollen. „Harmonie-Gewürzmischung“, „Mein süßes Vergnügen“ oder „Himmel auf Erden“, anyone? Ach was, heranrollen ‒ sie ist längst da. Da hat eine Hackfleischgewürzmischung namens „Klasse Hackipulver“ zwischen all den X-träumen und Y-zaubern schon wieder echt Witz.
Und Ihr? Wie findet Ihr das Angebot käuflichen und ess- oder trinkbaren Glücks? Und fällt Euch Ähnliches noch bei anderen Lebensmittelgruppen auf? Über Eure Kommentare freue ich mich.
- Earl-Grey-Trüffel
- Faszination und Ekel: Klaus Pichlers Fotoprojekt „One Third“
Ist (vermutlich) nicht eß-/trinkbar, aber kennst Du schon das Duschgel „Glückliche Auszeit“? Auch als Badeschaum erhältlich. Mit Mohnextrakten… : )
Stimmt, Bettina – auch die ganzen Badesalze etc. schwimmen auf der Welle mit. Danke für den Hinweis!
Ich kann sehr gut nachvollziehen, warum Verbraucher dem Schmarrn aufsitzen. Frei erweblicher, jederzeit verfügbarer Trost, in Zeiten, die immer rauher und hektischer werden…
So ist es wohl. Vermutlich sollte man froh sein, wenn die Leute noch zu Tees greifen statt zu Happy-Pills. ;-)
eben, ein schöner Tee, genossen in einem Wohlfühl-Bad, kann doch bei diesem Regenwetter nur gut-tun. Wobei die Tees in der Apotheke eher trocken daherkommen- Nerven-und Schlaftee, oder Magen-Darm-Tee mild; es gibt aber auch schon Ansätze. Entscheidend für meine Empfehlung ist was drin ist und wie paßt das zur jeweiligen Situation, egal ob für Kund-innen oder mich selbst.
Achja, wir kaufen uns ja gelegentlich auch mal ein neues Kleid und verändersn damit vielleicht den Blick den andere auf uns haben. Oder nicht?
Irgendwie ist das alles eine Frage des rechten Maßes, finde ich, auch die Versprechungen auf Teepackungen. Wenn ich Nerventee in der Apotheke kaufe, dann gehe ich davon aus, dass wirklich etwas drin ist, das mir hilft, ruhiger zu werden. Bei den ganzen Tees, die jedoch ziemlich blumig Gelassenheit und innere Ausgeglichenheit versprechen … nun ja. Und je blumiger das Wirkungsversprechen, desto unglaubwürdiger ist es halt auch irgendwann.
Ich find das auch ausgesprochen nervig, Sabine. Allerdings bin ich ohnehin keine große Teetrinkerin, ich mag lieber Kaffee. Doch auch da gibt es ja total viele tolle Sorten, vor allem bei diesen unsäglichen Pads. Zum Beispiel Bukeela ka Ethiopia Lungo, Roma, Arpeggio oder die fürchterlichen aromatisierten Kaffees – igitt! Ich mag es da ganz klassisch. Ich kaufe die ganze Bohne, mahle sie in meiner Kaffeemühle (ja, die is’ immerhin elektrisch) und brühe meinen Kaffee dann von Hand auf. Übrigens schon seit fast 20 Jahren und nicht erst, seitdem auch das wieder in Mode kommt.
„Klasse Hackipulver“ finde ich aber klasse.
O je, bei Kaffee hatte ich das noch gar nicht wahrgenommen! Da bin ich nämlich auch Traditionalistin. :-)
Abends genieße ich – nun ja – auch mal recht gerne einen Milchbildungstee.
:-) Fenchel-Anis-Kümmel ist ja auch perfekter Verdauungstee.
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