Apfelschätze: Welches Lebensmittelsystem wollen wir?
In Sachen Lebensmittel liegt bei uns einiges im Argen. Nehmen wir nur mal Äpfel, unser alltäglichstes Obst: Rund ums Jahr sind sie im Supermarkt verfügbar, als hätten sie keine Saison. Dass sie die Hälfte des Jahres aus Chile und Neuseeland eingeflogen werden, nehmen wir kaum wahr. Vielen ist auch nicht klar, dass die heimischen Äpfel viele Monate des Jahres aus Kühlhäusern mit sauerstoffreduzierter Atmosphäre stammen, wo sie unter Energieaufwand gelagert werden. Von dort gelangen auch im April, Mai, Juni noch gleichmäßig makellose, knackige Äpfel in die Supermarktauslagen. Dass sie nicht mehr nach viel schmecken, merken wir nicht. Wir haben uns an die paar Standardsorten gewöhnt, die sich in industriellem Maßstab an Niedrigstämmen anbauen lassen und den Erwartungen der Verbraucher_innen entsprechen: süß und möglichst rotbackig. Der jederzeit verfügbare Apfel ist standardisierte Massenware.
Auf der anderen Seite geht uns täglich Sortenvielfalt verloren. Es gibt viele Tausend Apfelsorten, aber nur wenige eignen sich für den Anbau im großen Maßstab. Dafür sind die alten Sorten oft perfekt an die Bedingungen bestimmter Standorte angepasst, und etliche werden sogar von Apfelallergiker_innen vertragen – und vor allem bieten sie eine unglaubliche Bandbreite an Aromen. Aber viele Kinder wissen gar nicht mehr, dass Äpfel ganz unterschiedlich schmecken und aussehen können.
Immer mehr Apfelbäume alter Sorten verschwinden, und wo sie noch stehen, werden sie oft nicht mehr abgeerntet. Gerade Hochstämme abzuernten ist teuer, und Äpfel müssen billig und in großer Menge verfügbar sein, um in die Supermärkte und zu uns Käufer_innen zu gelangen. Selbst auf den Apfelplantagen, die sich an den Erfordernissen des Marktes ausgerichtet haben, verrotten im Herbst tonnenweise Äpfel, wenn der Marktpreis so niedrig ist, dass sich die Erntearbeit nicht rentiert. Dann werden halt Äpfel von weither importiert, wo die Arbeitslöhne niedrig sind.
Ein krankes System. Und das Schlimme an diesen großen, unübersichtlichen Wirtschaftszusammenhängen ist ja, dass man sich als Einzelperson so machtlos fühlt, daran etwas zu ändern. So geht es mir jedenfalls.
Zum Glück gibt es immer wieder Menschen, die vormachen, wie es auch anders geht. Einer dieser Menschen ist meine Freundin Anja Fiedler, von deren Projekt Stadt macht satt ich schon einmal hier im Blog berichtet habe. Sie spürt Lebensmittelressourcen in der Stadt auf und zeigt anderen, wie man sie kreativ nutzen kann. Eine dieser Aktionen hat sich im Laufe der Zeit zu einem eigenen Projekt gemausert: Apfelschätze, das sie vor allem im Herbst rund um die Uhr beschäftigt.
Anja Fiedler spürt Apfelbäume auf, die nicht abgeerntet werden – weil beispielsweise den Privatbesitzern die Arbeit und die Apfelmengen über den Kopf wachsen oder weil die Bäume auf Streuobstwiesen stehen und nicht wirtschaftlich geerntet werden können. Solche Bäume erntet sie (immer mit Genehmigung der Eigentümer!) zusammen mit Berliner Familien ab und zeigt ihren Erntehelfer_innen, wie die Äpfel zu Hause so gelagert werden können, dass sie völlig ohne Kühlhaus monatelang halten. Einen Teil der Ernte stellt sie Schulen und Kindergärten zur Verfügung, die sie außerdem besucht, um den Kindern zu zeigen, wo Äpfel herkommen, welche Sorten es gibt und wie unterschiedlich sie schmecken. Aber Anja Fiedler konzentriert sich nicht einfach aufs Ernten, sondern sie sorgt auch dafür, dass die Bäume geschnitten (und dadurch erhalten) und die Sorten gegebenenfalls bestimmt werden. Ein Beitrag des ZDF hat dieses Jahr einen Einblick in das Projekt gegeben; er ist in der Mediathek immer noch anzusehen.
Klingt nach viel Arbeit. Ist es auch. Und leider reicht es auf Dauer nicht aus, für ein Projekt zu brennen – irgendwann muss auch Geld her: für Leitern und Apfelernter, für den Transport der Früchte, für die Honorare der Baumpfleger_innen, für Öffentlichkeitsarbeit, Website und so weiter, und so fort.
Anja Fiedler hat eine Crowdfunding-Kampagne auf Startnext.de gestartet, um die Zukunft des Projekts zu sichern und es von einem privaten, spendenfinanzierten Projekt in ein soziales Unternehmen umzubauen, das mehreren Menschen Arbeit gibt. 33 Tage sind noch Zeit, um weitere 15.000 Euro zusammenzubekommen. Scheitert das Crowdfunding, würde das das Aus für die Apfelschätze bedeuten.
Ich bin der festen Überzeugung, dass dieses Projekt jede Unterstützung verdient, und zwar auch von Nicht-Berliner_innen:
- weil dieses Projekt dann hoffentlich viele Nachahmer_innen findet;
- weil wir solche Projekte brauchen, um kleine Schritte in Richtung eines besseren, ressourcenschonenden und ressourcennutzenden Lebensmittelsystems zu gehen;
- weil Kinder durch Anfassen und Selbermachen lernen, wo Lebensmittel herkommen und wie wertvoll sie sind.
Deshalb mein Appell: Finanziert mit. Teilt die Information, dass es diese Kampagne gibt, mit anderen. Und sucht euch unter den Dankeschöns doch vielleicht sogar das eine oder andere Weihnachtsgeschenk aus.
Mich würde es freuen, wenn ein Projekt wie Apfelschätze den Beweis schaffen würde, dass es auch noch andere Wege zur Lebensmittelversorgung gibt als das unbefriedigende System, das wir derzeit haben.
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