Faszination und Ekel: Klaus Pichlers Fotoprojekt „One Third“
Lebensmittel, zu kunstvollen Stillleben komponiert. Kräftig leuchtende Farben vor schwarzem Hintergrund: Gelb, Rot, Grün, Blaugrau. Moment – Blau? Der zweite Blick zeigt: Schimmel überzieht die Ananas, malt Muster auf die schwebenden Zitronen, überzieht den Reis mit einem feinen Pelz. „One Third“, ein Projekt des österreichischen Fotografen Klaus Pichler, inszeniert verrottende Lebensmittel wie Kostbarkeiten – symmetrisch arrangiert, auf edlem Geschirr, begleitet von neckischen Porzellanfigürchen. (Hinweis, wenn ihr dem Link zu den Fotos folgt: Klick aufs Bild führt zum nächsten.) Pichler entlarvt mit seinen Fotos eine Esskultur, die das Drumherum wichtiger nimmt als die eigentliche Hauptsache: die Lebensmittel. Denn von denen landet bei uns rund ein Drittel auf dem Müll. Welche Ressourcen dadurch vernichtet werden, machen die Informationen deutlich, die der Fotograf jedem Bild beigegeben hat: Herkunft, Transportdistanz, CO2-Bilanz, Wasserverbrauch und Kaufpreis.
Das sind die nüchternen Fakten, aber die Fotos spielen gekonnt mit Emotionen: Faszination, Ekel, schlechtem Gewissen. Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich: Darüber will ich mehr wissen! Netterweise hat sich Klaus Pichler sofort zu einem Interview bereit erklärt.
Was hat Sie auf die Idee zu dem Projekt „One Third“ gebracht?
Ich habe einen Zeitungsartikel über diese berühmte UNO-Studie zur weltweiten Nahrungsmittelverschwendung gelesen. Bei dieser Untersuchung kam die berühmte Summe von einem Drittel heraus: Weltweit wird ein Drittel aller produzierten Nahrungsmittel verschwendet. Diese unglaubliche Menge hat mich schockiert, und ich habe mir sofort gesagt: Da mache ich was draus.
Was an der Studie so überrascht, ist ja, dass die Zahl von einem Drittel weltumspannend die Gleiche bleibt, nur dass der Nahrungsmittelverlust an unterschiedlichen Stellen der Food Supply Chain, also der Lieferkette vom Produzenten zum Verbraucher, auftritt. In wenig industrialisierten, ärmeren Ländern hapert es an vernünftigen Transport- und Lagermöglichkeiten, während die Verschwendung in den reichen Ländern eher an der Einkaufspolitik der Supermärkte und an Konsumentenentscheidungen liegt.
Mit „One Third“ visualisieren Sie aber im Grunde nur die Verschwendung, die in unseren hochindustrialisierten Ländern stattfindet. Warum?
Dass ich in diesem Projekt die Perspektive eines mitteleuropäischen Konsumenten gewählt habe, erlaubt mir, die Transportwege der Nahrungsmittel aufzeigen. Ich habe Produkte in Österreich gekauft und von dort retour zu ihrem Ursprung verfolgt. Das Ergebnis der gesammelten Informationen war eine Weltkarte mit den Transportwegen.
Ich habe mich aber vor allem deshalb auf die europäische Perspektive konzentriert, weil ich hier lebe und davon überzeugt bin, dass jeder für sein eigenes Leben der größte Experte ist. Wenn man eine fremde Perspektive einnimmt, dann kommt man dem Ganzen nie so nahe wie dann, wenn man sich nicht allzu weit vom eigenen Leben entfernt.
Gewidmet haben Sie das Projekt aber trotzdem den Produzenten, nämlich, wie Sie schreiben, „den Arbeitern und Arbeiterinnen der globalen Lebensmittelindustrie“. Warum? Man könnte das ja ironisch verstehen: Mit Ihren Fotos zeigen Sie ihnen ja, in welchem Maß ihre Arbeit umsonst ist.
Ich hatte von Anfang an bei dem Projekt immer wieder eine Orange vor Augen, die in Spanien gehegt und gepflegt, dann geerntet, verschifft und mit dem Lkw nach Österreich transportiert wird, bevor man sie dort wegwirft. So viele Leute sind daran beteiligt, uns mit dieser Orange zu versorgen! Für die muss es doch schlimm sein, wenn sie wissen, dass ihre Arbeit sinnlos ist – die Orange wird zwar gekauft, dann aber weggeschmissen. Das ist für mich ein bitterer Gedanke, aber es geht mir bei der Widmung nicht um Ironie, sondern eher um eine Respektsbekundung vor der Arbeit, die hinter unseren Nahrungsmitteln steckt.
Und da möchte ich gerne differenzieren zwischen den Produzenten einerseits und den Menschen, die die Arbeit machen, andererseits. Das ist so ähnlich wie bei einem Gebäude, von dem man sagt: „Das hat dieser oder jener Architekt gebaut.“ Der baut es ja nicht, sondern gibt nur den Auftrag, und ausführen tun es ganz andere. Mir geht es um die Ausführenden, um die Leute, die in der Nahrungsmittelproduktion wirklich die Drecksarbeit machen. Ich selbst habe eine Zeit lang recht viel für einen Tomatenproduzenten fotografiert und dabei den ganzen Wahnsinn gesehen, der dahintersteckt: beheizte Gewächshäuser, Erntehelfer aus der Slowakei – ganz klassisch. Da habe ich gesehen, wie es läuft: Die Mühe haben die armen Arbeitsbienchen, und abschöpfen tun es andere. Natürlich schafft die Nahrungsmittelindustrie Arbeitsplätze, aber im Endeffekt ist es eine gigantische Maschinerie, die jeden Einzelnen von uns immer weiter von den Nahrungsmitteln entfremdet.
Das Stichwort Entfremdung führt direkt zum Stichwort Verfremdung: Sie verfremden in Ihren Fotos die Lebensmittel, indem Sie sie verrotten lassen. Der erste Blick zeigt ja höchste ästhetische Inszenierung, wunderschöne Fotos – und auf den zweiten Blick merkt man, dass man auf Schimmel und Fäulnis blickt. Wie ist denn die erste Reaktion der Leute, die die Fotos sehen?
Genau so, wie ich es beabsichtigt habe: Sie sollte zwischen Anziehung und Abstoßung oszillieren, und das geht genau auf. Hätte ich nur den Zeigefinger gehoben und gesagt: „Böse, böse!“, dann würden die Leute abschalten. Man ist daran gewöhnt, ständig Horrornachrichten zu lesen oder mit schlimmen Dingen konfrontiert zu werden. Das überfordert einen; man geht auf Distanz.
Ich wollte daher einen Trick einbauen, der dafür sorgt, dass man zuerst von den Bildern gefangen genommen wird und erst auf den zweiten Blick erkennt, was man da anschaut. Man soll verführt werden, sich mit einer zweiten Ebene der Bilder zu beschäftigen, die auf den ersten Blick gar nicht so zentral ist. Das habe ich erreicht, indem ich den Fotos die Anmutung von Werbefotos gegeben habe. Die Bilder sehen ja so aus, als könnte man in jedes rechts oben das Logo des Produzenten hineinbasteln und unten einen Slogan druntersetzen.
Für mich ist Essen Luxus. Daher habe ich mir Werbefotografien von Luxusgütern als ästhetisches Leitbild genommen. Deshalb auch der schwarze Hintergrund: Fotos von Diamanten, Autos, Schmuck, Gold haben den immer, damit die Farben gut rauskommen.
Ich dachte beim Anblick Ihrer Fotos sofort, dass es für Foodfotografen doch ein Traum sein müsste, mal mit Blautönen bei Lebensmitteln arbeiten zu können!
Das stimmt! Für mich war das überhaupt spannend: Ich habe bisher wenig klassische Foodfotografie gemacht. Das war Neuland. Bei neuen Projekten freue ich mich, wenn etwas für mich zurückbleibt, ein gewisser Lerneffekt, irgendwas Neues, was ich vorher nicht kannte oder wusste. Hier hat es ungeheuer viel Spaß gemacht, Fotos von Essen zu machen, das verrottet ist, aber trotzdem einen gewissen Appetizer Appeal haben soll. Herauszufinden, wie man das erreicht, war ganz spannend. Wenn man sich die ersten Fotos anschaut – die haben das noch nicht. Ich bin erst mit der Zeit daraufgekommen, wie man das Ganze inszeniert, sodass es gut funktioniert: mit dieser extremen Symmetrie zum Beispiel. Außerdem musste ich ja auch erst ins Gefühl kriegen, wann der richtige Zeitpunkt ist, um den Verrottungsprozess zu stoppen, die Nahrungsmittel herauszunehmen und zu fotografieren: Ab wann ist es nur mehr Matsch, und wann ist es noch so unverrottet, dass es einfach langweilig ist?
Inwiefern haben Sie da nachgeholfen? Haben Sie die Verrottungsprozesse gesteuert?
Nein. Am Anfang des Projekts habe ich mit Molekularbiologen Kontakt aufgenommen, weil ich immer wieder gelesen hatte, dass Schimmelpilze so gefährlich sind und Krebs oder Allergien auslösen können. Die habe ich dann auch gefragt, ob es sinnvoll wäre, irgendwelche Schimmelpilzkulturen einzubringen – ich kannte bis dahin einfach nur den grünen Schimmel. Und einer von diesen Molekularbiologen hat den schönen Satz gesagt: „Seien Sie unbesorgt! Jedes Nahrungsmittel bringt genügend Schimmelsporen mit, um von selbst effektvoll zu verrotten.“ Ich habe also nichts machen müssen, außer aufzupassen, dass nichts austrocknet.
Auch nicht bei den Mehlwürmern im Mehl?
Das war was anderes. Ich wollte keine lebenden Tiere kaufen, weil ich nicht wusste, was ich mit denen nachher tun sollte. Deshalb habe ich mir im Anglerbedarf gefriergetrocknete Mehlwürmer besorgt. Die musste ich nicht selbst umbringen, sondern die waren schon tot – und ich dachte, für mein Projekt muss ich jetzt nichts Lebendiges töten. Ich wollte im Sinne der provokanten Grundhaltung nach dem Fotografieren alles problemlos wegschmeißen können. Aber lebende Mehlwürmer wegzuschmeißen, das hätte ich wohl nicht übers Herz gebracht.
Die Lebensmittel aber schon? Mit „One Third“ überschreiten Sie ja so einige Grenzen: die der Haltbarkeit von Lebensmitteln natürlich, aber auch ein gesellschaftlich immer noch fest verankertes Tabu: „Mit Essen spielt man nicht.“Oder auch: „Essen wegwerfen ist Sünde.“
Ja, das habe ich ganz bewusst gemacht. Es gibt ein paar andere künstlerische Arbeiten zur Lebensmittelverschwendung, bei denen immer diese Unmengen vorkommen: Brotberge, Tomatenhaufen. Ich habe das auf Haushaltsgröße heruntergebrochen. So sollen die Bilder bewusst machen: Das passiert in jedem Haushalt ständig und unerwünscht und unbewusst. Der provokante Gestus steckt also darin, dass ich das, was sowieso unentdeckt ständig passiert, mit Absicht mache.
Hat Sie trotzdem zwischendurch das schlechte Gewissen geplagt?
Ja, natürlich. Andererseits dachte ich natürlich schon: Ihr lieben Erdbeeren, ihr werdet auf diesen Bildern noch in Jahren existieren – wenn ich euch essen würde, dann wärt ihr einfach weg. Es ist ein bissel so, dass die Nahrungsmittel auf andere Art und Weise weiterleben. Man kriegt schon einen ganz intensiven Bezug zur Nahrung. Den habe ich seitdem nicht verloren. Dieser Respekt, der ist immer noch da.
Sie schreiben, dass Sie mit diesem Projekt auch auf einen Kontrast aufmerksam machen wollen: Auf der einen Seite ist das, was Sie als „nahrungszentrierte Kulturindustrie“ bezeichnen: unsere elaborierte Tischkultur und der Kochhype in den Medien. Auf der anderen Seite ist die geringe Wertschätzung für Lebensmittel, die ständig verfügbar und bei Überschuss einfach zu entsorgen sind. Nun reihen sich Ihre Fotos mit ihrer starken ästhetischen Stilisierung doch selbst sehr stark in diese Kulturindustrie ein. Ist das nicht ein Widerspruch?
Das ist es. Eigentlich ist Essen Luxus, und Nahrungsmittel sollten ein Luxusgut sein. Aber gleichzeitig werden sie immer stärker zum ständig verfügbaren Produkt. Ich mache bewusst den Schritt zurück und zeige: Es ist eben doch Luxus. Um das zu erreichen, habe ich die Schraube ein Stück angezogen und überdramatisiert. Ich glaube, dass die Leute mit Brüchen und Ironie mittlerweile ziemlich gut umgehen können. Das sind Stilmittel, die in der Werbung oft eingesetzt werden, sodass die Leute gewohnt sind, nicht einfach straight zu denken, sondern um die Ecke.
Essen wird ja immer mehr zelebriert, die ganze Tisch- und Esskultur wird immer aufwendiger und sogar überemotionalisiert. Da werben bestimmte bekannte Fastfood-Ketten mit Liebe, und Kochbücher sind ein riesiger Markt. Es gibt ganze Geschäfte nur mit Kochbüchern! Ich habe schon den Eindruck, dass all das mit dem, worum es eigentlich geht, nicht zusammenpasst. Und diese Entwicklung schmeckt mir nicht wirklich.
Was sollen denn die Menschen mitnehmen, die Ihre Bilder anschauen?
Eine größere Wertschätzung fürs Essen und ein größeres Bewusstsein dafür, unter welchen Bedingungen Nahrungsmittel produziert werden.
Ich danke Ihnen für das Interview!
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Herrn Pichlers Konzept ist bei mir aufgegangen. Ich „oszilliere“ zwischen Anziehung und Abstoßung. Und das kurz nach dem Frühstück! Der Ekel, vergrößert noch durch meine Fantasie, wird nur durch meine Neugier in Schach gehalten, die mich immer neue Bilder anklicken lässt. Gottseidank befinde ich mich in einem digitalen und nicht in einem analogen Ausstellungsraum, in dem die Bilder mich von allen Seiten dauerhaft umgeben … Interessant, dass die „Haushaltsmenge“ auch bei mir eine größere, persönliche Betroffenheit bewirkt, an die Berge von verrottenden Lebensmitteln in Müllcontainern oder auf Halden bin ich ja leider schon gewöhnt und es ergeht mir damit wie mit der fortgesetzten Berichterstattung aus Kriegsgebieten: Nach anfänglichem Entsetzen schalte ich ab, ganz wörtlich, und ich mache mir vor, dass es mich nicht betrifft. Eine andere Frage bleibt bei mir über das eigentliche Thema hinaus hängen: Ist Essen Luxus? Darüber lohnt sich auch mal nachzudenken …
Natürlich ist Essen Lebensnotwendigkeit, nicht Luxus. Es aber zur Verfügung zu haben, und zwar reichlich und in großer Auswahl, das ist echter Luxus. Finde ich. Nur dass es sich halt für uns in der Regel anfühlt wie eine Selbstverständlichkeit. Und da geben solche Fotos schon mal wieder einen Anstoß, das eigene Verhältnis zu den Lebensmitteln kritisch zu beleuchten.
Bei Schimmel muss ich passen, mein Ekel davor ist einfach zu groß, als dass ich mir freiwillig Bilder von verschimmelnden Lebensmitteln anschaue – bei mir zu Hause passiert es zum Glück sehr selten, dass etwas verschimmelt und dann muss ich mich sehr überwinden, es anzufassen, um es zu entsorgen…
Ui, ich hoffe, ich habe Dir nicht für den Rest des Tages den Appetit verdorben!
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